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Welchen Sport wollen wir eigentlich?

Von Nikolaus Lehner

Gastkommentare

Das System Fifa ruiniert den Fußball in seiner Basis - Gedanken zur Ethik im Sport anlässlich der Weltmeisterschaft.


All den Experten, die sich damit befassen, wohin sich bildende Kunst, Schauspiel, Oper und Literatur entwickeln, seien analoge Fragen aus dem Sportbereich an die Seite gestellt. Zu diesen veranlassen zahlreiche aktuelle Affären und Skandale im Fußball. Man denke nur an berühmte Fußballmannschaften, die schwer defizitär sind, wie Juventus Turin oder FC Barcelona; oder an die Fifa, gegen deren Ex-Präsidenten seit vielen Jahren ein Strafverfahren anhängig ist und dessen Nachfolger bereits in Misskredit geraten ist.

Korruption ist die größte und schwerste moralische Seuche weltweit. Sie zerstört geregeltes Zusammenleben, Vertrauen, Recht und Moral. Das System Fifa ruiniert den Fußball in seiner Basis, weil die handelnden Akteure nur noch im Sinne der Reichen und Mächtigen agieren. Katar "funktioniert" nach außen als eine nur der eigenen Behauptung nach demokratisch legitimierte Diktatur.

Wenn kleine Karibik-Inseln als vergleichsweise unbedeutende Sportnationen dasselbe Stimmrecht haben wie die großen europäischen Fußballnationen, wird es bei jeder Wahl zu verdächtigen Absprachen kommen, weil doch eine so kleine Insel nicht einmal eine kleine Chance hätte, sich zu qualifizieren. Zugegeben, die Fifa ist unglaublich erfolgreich und etabliert den Fußball weltweit als völkerverbindenden Sport mit bedeutender Mobilisierungskraft.

Im aktuellen Diskurs existiert ein hohes wissenschaftliches Niveau beim Reflektieren sportethisch-moralischer Phänomene. Die Gewissensfreiheit ist ein Menschenrecht. Der Sinn des Sports wird auch als Sportsgeist bezeichnet. Allerdings sind Wett- und Materialbetrug, Bestechlichkeit und Doping sehr häufig, ja sogar körperliche Schädigungen sind nicht selten.

Aristoteles zufolge streben wir Menschen nach Glück - er meinte damit natürlich nicht das Glücksspiel oder sonstiges Verwerfliches, sondern das, was tugendhafte Menschen suchen. Beim Fitnesstraining etwa sollte man sich somit immer reflektiert vor Augen halten, welche Motive im Vordergrund stehen oder stehen sollten. Im Ergebnis führt jedes Fitnesstraining neben der Angleichung an gesellschaftliche Gesundheits- und Schönheitsnormen zu den Tugenden der Ausdauer, Leistung und Disziplin. Man kämpft also primär nicht um Medaillen oder Ruhm, sondern nur mit und um sich selbst. Der Körper wird aber oft zum Selbstzweck und zum Gegenstand permanenter Verbesserungsbemühungen.

Sich anstrengen, um das Ziel zu erreichen

Die Erziehung durch Sport lehrt das Individuum, dass man sich anstrengen muss, um das gesteckte Ziel zu erreichen, die persönlichen Grenzen kennenzulernen und zu respektieren, bei Problemen nicht aufzugeben und zur Erkenntnis zu gelangen, dass Sieg und Niederlage zum Leben dazugehören, sowie schließlich in einem Wettkampf die Regeln einzuhalten. Jedoch kommt es nicht erst seit heute gerade im Sport zu großen Missbrauchsfällen, in die prominente Sportler, auch Fußballer, verwickelt sind. Rechtskräftige Verurteilungen wegen schwerer Sexualdelinquenz sind selten, da enorme Zahlungen an die (vermeintlichen) Opfer dazu führen, dass es zu keinem Strafverfahren oder einem "plea deal" kommt.

Durch die technischen Fortschritte sieht sich der Mensch gezwungen, nach körperlicher Anstrengung zu suchen, weil er dadurch Befriedigung finden kann. Der Körper ist dann ein Investitionsprojekt, das optimal gefördert werden muss, um damit bestmöglich Kapital zu schaffen. Er möchte gespürt werden, das führt zur Freude an der Bewegung. Wird das Training übertrieben, führt dies zu Sportsucht, Körperdysmorphie.

Eine verzerrte Wahrnehmung der eigenen Physis ist oft die Folge, zugleich aber auch Auslöser der Sportsucht. Auch das Siegenwollen und -müssen hat einen Stellenwert, dessen Folgen zur Unfairness führen, um diese Ziele zu erreichen. Gleichzeitig leisten bestimmte Sportarten einen Beitrag zur Gewaltprävention, nämlich, wo das primäre Ziel die Selbstverteidigung ist, wie Jiu Jitsu, Karate oder Judo.

Zehn Gebote, Immanuel Kant und Menschenrechte

Der Bezug zum Dekalog liegt im Sport nicht weit und lässt sich gut veranschaulichen, wenn man gefordert ist, die eigenen Aggressionen zu beherrschen, nicht mit unverhältnismäßigen Mitteln zu kämpfen und nicht absichtlich zu verletzen und zu simulieren. Genauso ist auch der kategorische Imperativ des Immanuel Kant im Sport verwirklicht, wenn gefordert wird, dass das eigene Handeln immer den Anforderungen einer allgemeingültigen Regel zu genügen habe. Fairness ante litteram.

Auch den Menschenrechten ist der Glaube an Würde und Wert des Menschen immanent, im Vordergrund steht der Anspruch der psychischen und physischen Unversehrtheit der Person:

Artikel 1 der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hieße im Sport, vor allem Nationalismen zu bekämpfen.

Artikel 2 interpretiere ich für den Sport so, dass Haltungen, Anschauungen und Überzeugungen jeglicher Art zu respektieren sind, religiöse Pflichten von Sportlern ebenso wie politische Äußerungen.

Im Artikel 3 ist an das Verbot von Doping zu denken.

Aus Artikel 4 leite ich den seit Jahren von Agenten missbrauchten Handel von Fußballern vor allem aus Afrika und von Jugendlichen, die vom Alter her eigentlich noch Kinder sind.

Artikel 5 bedeutet im Sport, dass Schläge, Strafen bei Misserfolg und ähnliche Dinge unzulässig sind.

Artikel 12 bietet eine Grundlage für eine Medienethik im Sport.

Trennung von Fußball und Politik ist nicht realistisch

Aus ethischer Perspektive ist zu fragen: Welchen Sport wollen wir eigentlich haben? Einen, der die Bühne für Werbung und Propaganda bietet, oder einen, der einen Eigenwert besitzt und nicht missbraucht wird? Der kommerzialisierte Profisport in allen Disziplinen dient vor allem der Fernsehunterhaltung.

Und wie politisch darf der Fußball sein? Je politischer und polarisierender der Sport wird, desto weniger kann er Menschen unterschiedlicher Herkunft - unabhängig von ihrer politischen Haltung - zusammenbringen. Auf der anderen Seite führt die Teilnahme von Ländern wie Afghanistan oder Nordkorea auch zu einer Völkerverständigung, die auf dem Gebiet der Politik nicht so einfach möglich ist.

Eine vollständige Trennung von Fußball und Politik ist daher weder realistisch noch erstrebenswert. Dennoch ist das Ziel, die Politik ein Stück weit aus dem Sport herauszuhalten, legitim, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass der Fußball seine einende Wirkung verliert. Gerade der kulturelle Austausch, den der Fußball durch eine Weltmeisterschaft erreicht, kann für einen Wertewandel nur vorteilhaft sein.

Im Sport finden wir auch schon die Whistleblower, die vor allem bei Absprachen und im Dopingbereich immer bedeutender für eine korrekte Durchführung der Bewerbe geworden sind. Inwieweit sie Helden und tatsächlich Aufklärer sind, lasse ich offen und schließe mit dem Gedanken, dass sich auch im Sport der Zustand der Welt und die Verhältnisse der Zeit manifestieren. Was das für unsere Zeit bedeutet, möge jeder selbst beurteilen.