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Der lange Arm der Inflation

Von Hanno Lorenz

Gastkommentare
Hanno Lorenz ist Ökonom bei der Denkfabrik Agenda Austria und forscht in den Bereichen Außenhandel, Armut und Verteilung, Wirtschaftsstandort und Digitalisierung.
© Markus Rössle

Bei den Lohnverhandlungen wird mit harten Bandagen gekämpft. Schuld ist die enorme Teuerung - und letztlich auch die EZB.


Im Land der Sozialpartnerschaft sind Arbeitskämpfe höchst selten. Entsprechend groß war die mediale Aufmerksamkeit, als die Mitarbeiter der ÖBB ihre Arbeit gleich für 24 Stunden niederlegten. Mittlerweile haben sich die Eisenbahner beim Kollektivvertrag (KV) auf eine Erhöhung um 8 Prozent geeinigt.

Die enorme Inflation ist hauptverantwortlich dafür, dass die KV-Verhandlungen in manchen Branchen so schwierig sind. Niemand weiß, wie viel die hart erkämpften Lohnerhöhungen in ein paar Monaten noch wert sein werden. Deshalb wollen Arbeitnehmervertreter lieber zu viel als zu wenig herausholen.

Wenn tausende Pendler jüngst wegen des Bahnstreiks nicht zur Arbeit fahren konnten, liegt das also in letzter Konsequenz an Fehlern der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Währungshüter in Frankfurt haben die Inflationsgefahr zu lange unterschätzt und zu spät reagiert. So ging die EZB Mitte des vergangenen Jahres noch davon aus, dass sie heuer ihr Versprechen der Preisstabilität - also eine Inflationsrate von 2 Prozent - halten könne. Zwar wurden die Prognosen später laufend angehoben. Doch das tatsächliche Ausmaß der anrollenden Inflationswelle überraschte auch die Experten in Frankfurt.

Niemand wird der EZB vorwerfen, dass sie den russischen Angriff auf die Ukraine nicht kommen sah. Aber als längst klar war, dass dieser Krieg die ohnehin anschwellende Inflation massiv befeuern würde, blieben die Währungshüter über Monate untätig. Sie taten das auch aus (falscher) Rücksichtnahme auf jene europäischen Länder, die in den vergangenen Jahren immer noch mehr Schulden angehäuft haben. Weil Geld praktisch gratis war, gab es zu wenig Anreiz, den eigenen Staatshaushalt zu sanieren. Wenn die Zinsen jetzt steigen, werden genau diese Schulden zu einer Herausforderung. Das weiß auch die EZB, weswegen sie deutlich zögerlicher als andere große Zentralbanken auf die steigenden Preise reagierte.

Noch folgenschwerer als die Unterschätzung der laufenden Inflation dürfte aber die gestiegene Inflationserwartung für die kommenden Jahre sein. Mit dem Ende des Jahres endet die Inflation leider nicht. Selbst die Zentralbank geht mittlerweile davon aus, dass Preisstabilität weder im kommenden noch im darauffolgenden Jahr erreicht werden kann. Das wird die Lohnverhandlungen also auch in den nächsten KV-Runden schwierig machen. Weil zugleich die Konjunktur ins Stottern gerät, bedeutet das eine zusätzliche Belastung für den Wirtschaftsstandort Europa.

Am wichtigsten wäre jetzt der Abbau von Staatsverschuldung - auch wenn das inmitten einer drohenden Rezession schmerzhaft ist. Doch nur so kann die EZB unabhängig bleiben und zu ihrer eigentlichen Aufgabe zurückkehren: der Wahrung von Preisstabilität. Öffentliche und private Kreditnehmer müssen sich auf höhere Kosten des Geldleihens vorbereiten. Gerade bei Wohnkrediten, die viele Österreicher variabel verzinst haben, bedeutet dies für den Schuldner eine erhebliche Mehrbelastung.