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"Tango Korrupti" - und ein Ansatz zur Gegensteuerung

Von Gerhard Kohlmaier

Gastkommentare
Gerhard Kohlmaier war AHS-Lehrer und ist aktiv in der Steuerinitiative www.steuerini.at.
© privat

Unsere repräsentative Demokratie hat ein Problem, das sozusagen seit Jahrzehnten die politischen Repräsentanten vor dem Bürger schützt.


Seit einigen Tagen erschüttert ein Korruptionsskandal das EU-Parlament - oder besser gesagt: die Bürger der Europäischen Union. In zahlreichen EU-Ländern, etwa Ungarn, Serbien, Rumänien, aber auch Griechenland und Italien, ist freilich Bestechlichkeit im öffentlichen und politischen Sektor des Landes an der Tagesordnung.

Vor einigen Wochen erklärte Thomas Wieder, ehemaliger Sektionschef im Finanzministerium, im ORF-"Report", das Ausmaß an Korruption gehe auch in Österreich seit Jahren weit über die nun bekannt gewordenen Chats von Thomas Schmid hinaus und ziehe sich durch alle Ministerien und Parteien. Überrascht ist davon eigentlich niemand mehr, denn spätestens seit Heinz-Christian Straches Ibiza-Auftritt ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Redlichkeit ihrer Repräsentanten endgültig im Keller. Das Land taumelt von einem Korruptionsskandal in den nächsten. Politikverdrossenheit ist das Resultat, in gewisser Weise eine durchaus spürbare Ohnmacht der Bürger und Wähler dem politischen System und seinen Akteuren gegenüber.

Die Schaffung verschiedener Institutionen zur Korruptionsbekämpfung, das Etablieren von Ethikräten und Ähnlichem, war bisher nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein der demokratiegefährdenden Korruptionstangos, die fleißig weitergetanzt werden. Die langjährigen Forderungen nach wirklicher Transparenz politischer Entscheidungsprozesse blieb im Wesentlichen ungehört.

Im weltweiten "Right to Information-Ranking" hat Österreich bei der Transparenz der öffentlichen Verwaltung den letzten Platz unter 95 Staaten eingenommen. Die längst überfällige Abschaffung des Amtsgeheimnisses (Informationsfreiheitsgesetz) ist seit eineinhalb Jahren in Begutachtung, aber nicht beschlossen. Eine endgültige Form des Gesetzes lässt, wie Interessen der Parteien, Länder und Gemeinden und jüngste Diskussionen darüber bereis zeigen, kaum deutliche Verbesserungen der Situation erwarten.

In dieser schwierigen Situation werden die Nachteile einer repräsentativen Demokratie gegenüber direktpolitischen Einflussmöglichkeiten des Volkes auf das politische Geschehen besonders drastisch offengelegt. Die Geister, die der Wähler rief, wird er allzu oft bis zum nächsten Wahltermin nicht mehr los. Und selbst das ist fraglich, denn das Wählerhirn ist manipulierbar und vergesslich; mitunter empfindet es sogar strafrechtliche und moralisch bedenkliche Machenschaften von Politikern bereits als vollkommen normal, da sie ja sozusagen täglich stattfinden und ein Gewöhnungseffekt eintritt. Resignation macht sich breit. Man könne die Situation nicht ändern - diese Haltung bezieht sich längst auch auf zahlreiche politische Entscheidungen, bei denen sich die Frage stellt, ob sie im Sinne der Mehrheit der Staatsbürger gefällt werden.

Parteitaktik statt Volkswille

Doch man könnte die Situation zumindest verbessern. Denn unsere repräsentative Demokratie hat ein Problem, das sozusagen seit Jahrzehnten die politischen Repräsentanten vor dem Bürger schützt. Dieses liegt mehr oder weniger in der Verfassung begründet beziehungsweise in deren Auslegung. Im Wesentlichen besteht es darin, dass wichtige, per Verfassung eingeräumte Möglichkeiten der direkten Mitbestimmung des Volkes zahn- und wirkungslos bleiben, weil deren Einfluss aufs politische Geschehen nicht vom Volkswillen, sondern von parteitaktischen Überlegungen abhängig ist. Dies trifft insbesondere auf die Volksbegehren zu, die für den Nationalrat nicht bindend sind. Es gilt auch für die Volksbefragung, die seit ihrer Einführung 1989 überhaupt erst einmal, nämlich im Jahr 2013 zur Wehrpflicht, durchgeführt wurde.

Das einzige Instrument, das dem Volkswillen zum Durchbruch verhelfen kann, weil das Ergebnis vom Nationalrat umgesetzt werden muss, ist die Volksabstimmung. Diese ist allerdings nur über einen bereits vorliegenden Gesetzesbeschluss möglich und bedarf der mehrheitlichen Zustimmung der Parlamentarier. In der Geschichte der Zweiten Republik kam dieses Instrument daher auch erst zweimal zur Anwendung: 1978 zum AKW Zwentendorf und 1994 zum EU-Beitritt.

Es liegt im Wesen der repräsentativen Demokratie, dass politische Entscheidungen von den gewählten Mandataren zu treffen sind, allerdings spricht nichts dagegen, ihnen dies durch eine Ausweitung der direkten demokratischen Möglichkeiten des Volkes zu erleichtern. Insbesondere, wenn sie den Eindruck erwecken, am Volkswillen vorbei zu agieren.

Unbeachtete Volksbegehren

In der Zweiten Republik wurden seit 1964 insgesamt 72 Volksbegehren durchgeführt. 58 davon haben mehr als 100.000 Bürger unterzeichnet, sie erreichten somit die festgesetzte Mindestanzahl an Stimmen für eine verpflichtende Behandlung im Nationalrat. 9 der 72 Volksbegehren wurden von mehr als 10 Prozent der Wahlberechtigten (derzeit etwa 6,4 Millionen) unterschrieben. Das ist ein beachtliches Bürgervotum, wenn man bedenkt, mit welchen Hürden die Betreiber dieser Volksentscheide im Laufe der Einleitungs- und Eintragungsverfahren zu kämpfen hatten. Allerdings blieb ein Großteil der Willenskundgebungen des Volkes abgesehen von einer Kurzzeitbehandlung im Nationalrat unbeachtet und hatte keinerlei oder nur sehr geringfügige Auswirkungen auf die konkrete Regierungsarbeit.

Es ist daher dringend notwendig, dieses Instrument der direkten Demokratie zu stärken. Volksbegehren, die zumindest 10 Prozent der Wahlberechtigten unterzeichnen, sollten eine verpflichtende Sondersitzung des Nationalrates nach sich ziehen - inklusive ORF-Übertragung und amtlicher Mitteilung an alle Bürger zu Sitzungsergebnis und Haltungen der einzelnen Parteien. Volksbegehren mit zumindest 20 Prozent Stimmenanteil sollten außerdem zwingend eine Volksabstimmung, etwa im Rahmen der nächsten Nationalratswahl, nach sich ziehen. Das Ergebnis sollte dann für die folgende Regierung bindend sein. Eine weitere Möglichkeit für eine Volksabstimmung bietet die digitale Stimmabgabe - die Zustimmung in der Bevölkerung ist hier bereits hoch.

Eine diesbezügliche Änderung unserer Verfassung erfordert zwar eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, aber die Aufwertung von Volkes Willen ist ein Gebot der Stunde, will man den mündigen Staatsbürger ernst nehmen und verhindern, dass seine gewählten Repräsentanten von einem Wahltermin bis zum nächsten vollkommene Narrenfreiheit haben und nach Lust und Laune an ihm vorbei regieren können.