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Ein gutes Jahr?

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Hinter den beeindruckenden ökonomischen Daten für 2022 lauern ein paar Fragezeichen.


Wenn in ein paar Tagen die Bücher der Kaufleute und der Ökonomen für heuer geschlossen werden und das große Abrechnen beginnt, so scheint das wirtschaftliche Endergebnis durchaus vorzeigbar zu sein: Um knapp 5 Prozent dürfte die heimische Volkswirtschaft im Jahr 2022 gewachsen sein, und zwar real, in absoluten Beträgen werden es wegen der Inflation sogar fast 10 Prozent sein. Dazu kommt: Die Arbeitslosenrate lag im November bei 6 Prozent, das ist der niedrigste Wert der vergangenen 20 Jahre.

Gemessen am Krisengerede, das gefühlt seit ewig den öffentlichen Diskurs beherrscht, sind dies gute Nachrichten. "Irgendetwas stimmt nicht mit Kassandra", amüsierte sich etwa Johannes Kopf, Chef des heimischen Arbeitsmarktservice (AMS). Auch die empirische Evidenz scheint das günstige Lagebild zu bestätigen: Die Fußgängerzonen der Innenstädte sind knallvoll in diesen Tagen, detto Cafés und Restaurants trotz teils tolldreister Preisgestaltung, und wer ein Flugticket oder Zimmer buchen will, erfährt hautnah, wie Angebotsknappheit und Preise zusammenhängen. Man hat den Eindruck, die Leute konsumieren, als wäre das Geld abgeschafft.

Das Problem an dieser Diagnose: Irgendetwas kann da nicht ganz stimmen. Denn Faktum ist, dass einerseits die Inflation heuer die reale Kaufkraft der Menschen signifikant verringert hat; die Lohnerhöhungen ersetzen das nur teilweise und vor allem erst meist im Nachhinein. Den meisten Menschen steht heuer also real weniger Geld zur Verfügung als etwa voriges Jahr. Und von diesem geringeren Einkommen müssen sie noch dazu einen wesentlich größeren Anteil als bisher für Gas, Benzin und Strom ausgeben, was den verfügbaren Rest weiter schrumpfen lässt.

Das passt nicht so recht mit den fröhlichen volkswirtschaftlichen Daten zusammen. Wer mehr Geld fürs Heizen und Tanken ausgibt, dem bleibt weniger für anderes.

Denkbar ist, dass hier Konsum nachgeholt wird, der in den vergangenen Jahren Corona-bedingt unterbleiben musste. Möglich auch, dass wir es gar mit einer Art "Crack-up-Boom" zu tun haben, also dem impulsiven Geldausgeben in der Ahnung, dass das Geld immer weniger wert sein wird. Oder dass die steigenden Heizkosten bei vielen Mietern noch gar nicht angekommen sind, weil die Abrechnung erst nächstes Jahr kommt.

Denkbar ist natürlich auch, dass die staatlichen Ausschüttungen zum Ausgleich der hohen Energiepreise tatsächlich Kaufkraft erhalten - diese Ausgaben werden aber die Steuern von morgen sein. Wie überhaupt die vielen Staatshilfen natürlich die Schulden der Republik nach oben treiben, womit die finanziellen Belastungen nicht entschärft, sondern bloß in die Zukunft gebeamt werden, wie das halt so der schlechte Brauch ist.

Denkbar ist übrigens auch eine Art optische Täuschung, denn auch steigende Energiepreise lassen die Wirtschaftsleistung rein rechnerisch steigen; ähnlich wie jedes nach einem Murenabgang neu gebaute Haus.

Eines ist trotzdem sicher: Es hätte, gemessen an der Ausgangslage, ökonomisch schlechter kommen können in diesem Jahr. Und das ist ja auch schon etwas.