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Kein Land lebt für sich allein

Von Holger Blisse

Gastkommentare
Holger Blisse ist Wirtschafts- und Sozialanalytiker und unter anderem auf kreditwirtschaftliche, genossenschaftliche und sozialpolitische Themen spezialisiert.
© privat

Krisen, die in einem räumlich begrenzten Rahmen entstanden sind, strahlen global aus.


Umweltkatastrophen und Klimakrise mahnen ebenso wie die Migrationsthematik, das große Ganze im Blick zu behalten. Doch die internationale Arbeitsteilung wird immer mehr auf die Probe gestellt.

Die Finanzmarktkrise bedrohte in Folge ausfallgefährdeter Wertpapiere die Existenz von Kreditinstituten und Versicherungen. Sie entwickelte sich zu einer Vertrauenskrise an den Geld- und Kapitalmärkten und führte durch die staatlichen Rettungsmaßnahmen zu einer Staatsschuldenkrise. Der Anfang der Corona-Pandemie ist ebenso lokalisierbar, auch wenn nicht sicher ist, wie genau es zur ersten Ansteckung kam. Danach forderte Corona die Gesundheitssysteme weltweit.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine um hoheitliche Besitzansprüche hat Millionen Menschen die Flucht ergreifen lassen und viele Menschenleben gefordert, die Zerstörung, auch von Wohngebäuden und Infrastruktur, geht unvermindert weiter. Die Aussicht auf eine diplomatische Lösung oder zumindest eine Waffenruhe wäre ein ersehntes Weihnachtswunder.

Allen diesen Krisen gemeinsam ist, dass sie in einem räumlich begrenzten Rahmen entstanden sind. Doch sie strahlen in einer arbeitsteiligen und technologisch vernetzten Welt aus und treffen uns alle: Erkrankungen und Todesfälle, Arbeitslosigkeit einiger und Überlastung anderer Berufsgruppen. Die Energie- und Rohstoffpreise sind angestiegen, Lieferketten wurden unterbrochen, Impf- und Teststrategien waren zu entwickeln, Nahrungsmittel wurden knapp und teuer, Lebenshaltungskosten steigen, und der Wert des Geldes sinkt aufgrund der Inflation.

Wir sind zu Getriebenen dessen geworden, das wir teilweise sogar selbst in die Welt gesetzt haben: Die Geschehnisse der vergangenen Jahre bieten den Stoff, aus dem Umbrüche und neue Ordnungen entstehen - und es geht immer weiter. Im Iran begehrt die Bevölkerung auf, in Afghanistan sieht sie sich einem neuen Regime gegenüber, in der Türkei ist der Konflikt mit den Kurden aufgeflammt. In Brasilien stellte ein abgewählter Präsident wie zuvor in den USA seine Nicht-Wiederwahl in Frage. Selbst die stets für Versöhnung eintretenden Kirchenvertreter, deren Wort Gewicht hat, bleiben zunehmend ungehört.

Eine Welt im Wettbewerb um Vorherrschaft und Vormachtstellungen: ob ökonomisch, politisch, religiös, weltanschaulich oder wissenschaftlich. Dabei scheint es kaum Gewinner zu geben, aber schon heute viele Verlierer. Die, die noch haben, wissen nicht, wie lange noch. Diejenigen, die um ihre Existenz fürchten oder schon um sie gebracht worden sind, sind bereit, andere mitzureißen.

Doch die Quelle des gesellschaftlichen Reichtums ist die Arbeitsteilung - im Kleinen wie im Großen. Sie gebietet Anerkennung und Respekt für die (Lebens-)Leistung jeder einzelnen Person und jedes Landes. Doch spätestens seit Adam Smith ("Wohlstand der Nationen", 1776) haben wir versäumt, den Preis für die Arbeitsteilung zu bezahlen. Gerade auch deshalb werden die Probleme im Weltmaßstab nicht geringer und gibt es die vielfach beklagten Lohn-, Gehalts- und Einkommensunterschiede samt unterschiedlich hohen Pensionen.