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An der EU ein Beispiel nehmen

Von Stefan Brocza

Gastkommentare
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.
© privat

Demokratiepolitisch ist die Union ihren Mitgliedern teilweise weit voraus.


Nach landläufiger Meinung sind die EU und ihre Institutionen ein schwerfälliger Apparat mit Beschlüssen basierend auf dem jeweils kleinsten gemeinsamen Nenner seiner Mitglieder - also alles andere als ein Hort der Innovation. Doch betrachtet man das Brüsseler Regelwerk ein wenig näher, findet man umgehend einige Bestimmungen, die man wohl als "Best Practice" für die Organisation zeitgemäßer Verwaltung heranziehen kann. So mancher EU-Staat täte gut daran, sich daran zu orientieren. Österreich etwa könnte sich in mehreren Bereichen ein Vorbild nehmen.

Amtsinhaber können jederzeit abgewählt werden

Im EU-Parlament ist es jederzeit möglich, einen Amtsinhaber (also etwa einen Parlamentspräsidenten oder auch einen Ausschussvorsitzenden) auch während der laufenden Legislaturperiode von seiner Funktion wieder abzuwählen. Dabei geht es wohlbemerkt nicht um die Frage, ob ein Mandat als EU-Abgeordneter aberkannt oder die Immunität aufgehoben werden soll. Nein, es geht schlicht und einfach darum, ob man der Meinung ist, der (oder die) Betreffende hätte eine Verfehlung begangen und sei deshalb für die weitere konkrete Amtsausübung innerhalb des Parlaments nicht mehr geeignet.

Kein "Es gilt die Unschuldsvermutung" oder "Das Strafrecht ist die rote Linie" wie in Österreich - stattdessen die schlichte Bestimmung des Artikels 21 der Geschäftsordnung des EU-Parlaments: Die Konferenz der Parlamentspräsidenten kann mit einer Mehrheit von drei Fünftel der abgegebenen Stimmen vorschlagen, die Amtszeit eines Amtsinhabers innerhalb des EU-Parlaments zu beenden, wenn sie der Auffassung sind, dass das betreffende Mitglied eine schwere Verfehlung begangen hat. In der Folge stimmt das EU-Parlament über diesen Vorschlag mit der Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen und der Mehrheit der EU-Abgeordneten ab. Durch die qualifizierten Mehrheitserfordernisse ist ein tagespolitischer Missbrauch dieser Abwahlmöglichkeit ausgeschlossen. Gleichzeitig gibt die Bestimmung aber eben auch die Möglichkeit, einmal getroffenen Entscheidungen während der fünfjährigen Legislaturperiode zu ändern. Eine moderne, zeitgemäße Regelung - ganz im Gegensatz zu Österreich, wo einmal gewählte Parlamentspräsidenten quasi einen politischen Freibrief für fünf Jahre erhalten. Keine Möglichkeit zur Abwahl, egal wie sich die Verhältnisse auch geändert haben.

Klare Regeln für das Personal in den Kabinetten

Gerne wird an der EU auch die allerorts überbordende Bürokratie kritisiert. Nun wäre es zu einfach (und wohl auch zu polemisch) darauf hinzuweisen, dass die gesamte EU-Beamtenschaft kleiner ist als etwa die Mitarbeiterzahl des Magistrats Wien. Worauf man aber durchaus Bezug nehmen könnte, wäre etwa die Ausgestaltung von Kabinetten, also jenes engsten Mitarbeiter- und Beraterstabs der Minister, der gerade in Österreich in den vergangenen Jahren in Bezug auf Zahl und Qualität dieser Mitarbeiter zunehmend kritisiert wurde; parteipolitische Überlegungen scheinen bei der Besetzung zu überwiegen.

Und wie sieht das in Brüssel aus? Da gibt es seit 2014 "Rules governing the composition of the Cabinets of the Members of the Commission and of the Spokesperson’s Service" - also klare Regeln für die Zusammensetzung und Qualität der Kabinettsmitarbeiter eines EU-Kommissars. Besondere Beachtung wird dabei etwa der Mitarbeiterzahl geschenkt. Dem Kabinett des EU-Kommissionspräsidenten gehören höchstens zwölf, dem der Vizepräsidenten sieben oder acht, dem eines Kommissars sechs Fachreferenten im höheren Dienst an. Darin sind Kabinettschef und Pressesprecher bereits inbegriffen.

Diese Zahlen sind deutlich niedriger als in österreichischen Ministerien. Zudem muss eine ausgewogene Balance zwischen den schon in der EU-Kommission arbeitenden Beamten des jeweiligen Ressorts mit einschlägiger Arbeitserfahrung und Personen, die von außerhalb der Verwaltung kommen, gefunden werden. Konkret heißt das, dass die Hälfte des Kabinetts aus der bestehenden Verwaltung rekrutiert und besetzt werden muss - ein Umstand, der in Österreich schon seit längerem vollkommen außer Acht gelassen wird. Zudem muss das EU-Kabinettspersonal jeden Interessenkonflikt, jedes Geschenk, alle externen Tätigkeiten, ja sogar Tätigkeiten der Ehegatten melden. Veröffentlichungsabsichten und geplante Teilnahmen an Konferenzen zu EU-Themen sind vorab bekanntzugeben. Diese Art von Offenheit und Transparenz sucht man in Österreich vergebens.

Die EU-Richter bewertet ein Expertenausschuss

Drittes Beispiel: Während die Besetzung von Höchstgerichten in Österreich intransparent für die Bevölkerung erfolgt, gibt es in der EU einen Expertenausschuss, der jede Nominierung durch EU-Staaten bewertet und eine Empfehlung abgibt. Der gemäß Artikel 255 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union eingesetzte beratende Ausschuss gibt eine Stellungnahme zur Eignung der jeweiligen Bewerber für die Ausübung des Amts eines Richters oder Generalanwalts beim Gerichtshof oder beim Gericht der EU ab. Die Stellungnahmen des Ausschusses dienen formal der Information der Regierungen der EU-Länder, bevor diese über die Ernennungen entscheiden. Faktisch folgen die EU-Mitglieder jeder dieser Stellungnahmen; es wird also niemand EU-Richter ohne Zustimmung dieses Ausschusses.

Dieser besteht aus sieben Persönlichkeiten, die aus dem Kreis früherer Mitglieder des Gerichtshofs und des Gerichts der EU, der höchsten einzelstaatlichen Gerichte und der Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung ausgewählt werden. Die Bewerber werden vom Ausschuss anhand von sechs Kriterien bewertet: juristische Befähigung, Berufserfahrung, Eignung für die Ausübung des Richteramts, Sprachkenntnisse, Fähigkeit zur Teamarbeit in einem internationalen Umfeld, in dem mehrere Rechtsordnungen vertreten sind, und Garantien für Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Redlichkeit und Integrität.

Die Gesamtbewertung einzelner BewerberInnen durch den Ausschuss wird der Öffentlichkeit zwar nicht bekanntgemacht. Dass die Tätigkeit des Ausschusses jedoch nicht ohne Wirkung ist, zeigt allein die Tatsache, dass etwa eine von der türkis-blauen Regierung nominierte Richterin nach erfolgter Anhörung durch den Ausschuss ihre Bewerbung von sich aus zurückzog. Dem Vernehmen nach wollte sie damit einer negativen Bewertung durch den Ausschuss zuvorkommen.

Da man ein Jahr traditionell mit guten Wünschen und Vorsätzen für das nächste Jahr beendet, hier also noch ein Wunsch an das politische Österreich: Vielleicht sollte man Brüssel und die EU nicht immer bloß kritisieren, sondern das eine oder andere Mal auch als Vorbild nehmen. Es könnte sich auszahlen.