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Veränderte Mobilität braucht neue Gesetze

Von Klaus Robatsch

Recht
© Michael Sabotha

Die Straßenverkehrsordnung ist nach 33 Novellierungen eine Art Flickwerk. Ein grundlegendes Umdenken ist gefragt.


Manche längst umgesetzte und heute unbestrittenen Forderungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV) sind in der Vergangenheit anfangs auf heftigen Widerstand gestoßen. Nun gibt es eine neue. Die österreichische Straßenverkehrsordnung (StVO) wurde im Jahr 1960 erlassen und bis heute 33 Mal novelliert. Als unser Land 1961 damit begann, Verkehrsunfälle systematisch und einheitlich zu erfassen, gab es im Gesamtjahr noch 1.640 Verkehrstote. Der Höhepunkt wurde im Jahr 1972 mit heute nahezu unvorstellbaren 2.948 Toten erreicht. Im Anschluss ging der Trend dank zahlreicher Präventivmaßnahmen stetig nach unten, obwohl immer mehr Kfz zugelassen wurden. Im "Pandemiejahr" 2021 lagen wir dann bei 346, und 2022 gab es mit 369 Verkehrstoten leider wieder einen Anstieg.

Das KFV wurde 1959 gegründet. Ich selbst habe Erinnerungen an meine Anfangszeit im KFV vor beinahe 30 Jahren. Viele der damals initiierten Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit sind anfangs auf heftigen Widerstand gestoßen. Heute stellt kein vernünftiger Mensch mehr die Vorteile von Helm- und Gurtpflicht sowie anderer längst umgesetzter Maßnahmen infrage.

Ein zentraler Bestandteil des Straßenverkehrs ist Sicherheit

Nun ist es an der Zeit, eine neue Forderung aufzustellen, die ebenfalls ein wenig provokant klingen mag: Österreich braucht eine völlig neuartige Straßenverkehrsordnung! Genau genommen liegen die Gründe dafür sogar auf der Hand. In der aktuellen StVO weht nämlich im Kern noch immer der Zeitgeist der Vollmotorisierung aus den 1960er Jahren. Tatsächlich hat sich die Mobilität in den vergangenen 20 Jahren aber enorm weiterentwickelt. Ein Auto zu haben, spielt heute eine viel geringere Rolle als früher. Stattdessen sind neue Mobilitätsformen wie etwa E-Scooter, E-Bikes und Car-Sharing-Modelle oder auch der boomende Fahrradverkehr dazugekommen. Zudem haben 33 Novellierungen die StVO leider auch zu einer Art Flickwerk gemacht. Es braucht daher eine moderne und nachvollziehbare Version, die die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer und neu hinzugekommenen Mobilitätsformen aufeinander abgestimmt berücksichtigt.

Im Zuge der Neuausrichtung gäbe es auch etliche längst fällige Stellschrauben, an denen man zur Verbesserung der Verkehrssicherheit drehen könnte. Derzeit sind beispielsweise die Grünphasen von Fußgängerampeln in Österreich so getaktet, dass die Straße mit einer Schrittgeschwindigkeit von 1,2 Meter pro Sekunde (4,3 km/h) überquert werden kann. Ältere Menschen, Eltern mit Kindern und gehbehinderte Personen schaffen allerdings in ihrem herkömmlichen Schritttempo oft nur 0,6 Meter pro Sekunde (2,2 km/h). Durch den Zeitdruck geraten sie in eine enorme Stresssituation. Viele neigen daher zu hastigem Überqueren, was die Sturz- und Unfallgefahr erhöht. Längere Grünphasen würden zwar die Flüssigkeit des Verkehrs leicht einbremsen, zugleich aber die Verkehrssicherheit für alle spürbar erhöhen. Was sind schon ein paar Sekunden Zeitverlust, im Vergleich zu einem heil über die Straße gekommen Menschen?

Auch Radfahrer würden von der Einbindung in ein klug durchdachtes, österreichweites Gesamtkonzept profitieren. Vor allem im urbanen Raum wurden die Radwegenetze in den vergangenen Jahren hastig ausgebaut, wobei diese Wege zugleich auch mit E-Scootern befahren werden dürfen. Das birgt in der Praxis auch einiges an Kollisionspotenzial mit Fußgängern und Autofahrern, wenn sich ihre Wege kreuzen. In Summe gibt es in Österreich noch immer zu wenige Radwege, und vielfach sind diese auch noch zu schmal. Dadurch kommt es immer wieder zu "Dooring-Unfällen", wenn nach dem Einparken eines Pkw, ohne zu schauen, die Fahrertür geöffnet wird.

Sicherheit sollte künftig ein besonders wichtiger Faktor sein. Um einen möglichst breiten Konsens für eine StVO neu zu erzielen, sollten möglichst alle Einflussfaktoren in die Waagschale gelegt und alle wesentlichen Stakeholder an einen Tisch geholt werden. Es braucht dazu eine österreichweite Arbeitsgruppe.

Herausforderungen des Digitalzeitalters

In der StVO neu sollte zudem berücksichtigt werden, dass überall dort, wo sich heute Radfahrer und Pkw im Ortsgebiet eine gemeinsame Fahrbahn teilen, nicht mehr als 30 km/h erlaubt sein sollten. Oder man errichtet eben getrennte Fahrbahnen. Wie wichtig generell eine angepasste Geschwindigkeit im Ortsgebiet ist, zeigt auch ein internationaler Vergleich. Österreich liegt mit 41 Verkehrstoten pro 1 Million Einwohner und Jahr zwar etwas besser als der europäische Schnitt (45 Tote), aber im Nachbarland Schweiz sind es "nur" 22 Getötete, und auch in Deutschland, wo es auf Autobahnen kein generelles Tempolimit gibt, sind es "nur" 31. Zurückzuführen ist das unter anderem darauf, dass in beiden Ländern im Ortsgebiet generell umsichtiger gefahren wird.

Interessant ist aber auch ein anderes Phänomen: Der Faktor "nicht angepasste Geschwindigkeit" ist im Fünfjahresrückblick kumuliert zwar nach wie vor die häufigste Unfallursache, laut vorläufigen Zahlen für 2022 rangierte aber an erster Stelle "Unachtsamkeit/Ablenkung". Dazu passend ein kleines Bonmot aus einer meiner Vortragstätigkeiten im Rahmen der Mehrphasenausbildung: Jeder vierte Führerscheinneuling hatte im Rahmen einer Befragung offenherzig eingeräumt, schon einmal während des Lenkens des Kfz Textnachrichten am Handy gelesen oder gar geschrieben zu haben. Wie hoch mag dann erst die Dunkelziffer sein?

Diese Umfrage ist in Kombination mit den anderen Fakten ein weiteres Indiz dafür, dass die Herausforderungen an die Verkehrssicherheit heute zum Teil gänzlich anders sind als im Jahr 1960. Auch im Sinne unserer Jugend braucht es daher endlich eine StVO neu, in der Prävention und Sicherheit absoluten Vorragen haben. Den Kindern und Jugendlichen gehört schließlich die Zukunft. Im vergangenen Jahr wurden 13 Kinder im Alter bis 14 Jahre im Straßenverkehr getötet - das sind genau 13 zu viel.

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