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Russland verliert den Wirtschaftskrieg gegen die EU

Von Franz Nauschnigg

Gastkommentare
Franz Nauschnigg war bis zu seiner Pensionierung im Mai 2019 Abteilungsleiter für Integrationsangelegenheiten und Internationale Finanzorganisationen in der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). In den 1990er Jahren beriet er die Finanzminister Andreas Staribacher, Viktor Klima und Rudolf Edlinger (alle SPÖ).
© Christine Weinberger

Die Sanktionen im Energiebereich sind ein wirksames Mittel.


Russland führt nicht nur einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sondern auch einen Wirtschaftskrieg gegen den Westen, insbesondere gegen die EU. Dies schon weit vor den jetzigen EU-Sanktionen nach dem Angriff auf die Ukraine 2022. Russland stoppte 2006 und 2009 die Gaslieferungen. Seit der Besetzung der Krim 2014 wird ein hybrider Krieg gegen die EU geführt. Der Kreml unterstützte EU-kritische Parteien, wie die FPÖ, ebenso wie die Brexit-Befürworter in Großbritannien. Er hat den EU-Gasmarkt manipuliert und die russische Marktmacht ausgebaut.

Beide Kriege laufen nicht gut für Russland. In der Ukraine kommt es zu militärische Niederlagen, und auch im Wirtschaftskrieg gegen die EU ist der Kreml nicht sehr erfolgreich. Die Wirtschaft in der EU ist im Vorjahr gewachsen und kann auch heuer trotz Wachstumsverlusten durch hohe Energiepreise und restriktive Geldpolitik eine Rezession vermeiden. In der Eurozone ist die Wirtschaft 2022 mit 3,7 Prozent erstmals sogar stärker gewachsen als in den USA (2,1 Prozent) und China (3 Prozent). Der Konjunkturerwartungsindex für den Euroraum ist im Jänner auf 16,7 Punkte - den höchsten Stand seit Februar 2022 - gestiegen.

Russland hingegen hatte im vergangenen Jahr laut dem neuesten Konjunkturbericht des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) eine Rezession - mit einem BIP-Minus von 2,5 Prozent - die sich heuer nochmals auf minus 3 Prozent beim BIP verschärfen wird. Normalerweise boomt die russische Wirtschaft bei hohen Energiepreisen, wie wir sie jetzt haben. Und im Wirtschaftskrieg gegen die EU war die Abhängigkeit von russischem Gas auch Wladimir Putins schärfste Waffe.

Wie der ehemalige OMV-Generaldirektor Gerhard Roiss im ÖVP-Korruptionsausschuss aussagte, hatte Gazprom ein "perfektes Marketing und Lobbying" dafür. Roiss, der die Abhängigkeit von Russland verringern wollte, wurde 2014 vom Russland-freundlichen Rainer Seele abgelöst. Österreich war in einer besonders prekären Lage, weil es zu 80 Prozent von russischem Gas abhängig war und in geringerem Ausmaß immer noch ist. Die OMV musste Milliarden für Gasfelder in Russland und die Beteiligung an der Pipeline North Stream 2 abschreiben. Zu verdanken ist dies einer kleinen Clique aus der türkisen Familie: Ex-Kanzler Sebastian Kurz sowie seinen Finanzministern, die Siegfried Wolf als Chef der Öbib (der Vorgängerin der Öbag) und Seele als OMV-Chef installierten. Für den Schaden könnte die "Culpa in Elegendo" (Verantwortung für die Auswahl von Verantwortlichen) aus dem Schadenersatzrecht genutzt werden.

Gaspreis unter dem Niveau zu Kriegsbeginn

Russland hat den Wirtschaftskrieg gegen die EU seit dem Sommer 2021 vorbereitet, indem die Gasexporte gesenkt und die Gazprom-Gasspeicher in der EU nicht gefüllt wurden. Seit dem Frühjahr 2022 erfüllt Russland auch seine langfristigen Gaslieferverträge nicht mehr, obwohl Gas nicht sanktioniert ist. Dadurch sind die Gaspreise in der EU vorigen Sommer auf das Zehnfache gestiegen. Putins Strategie ist es, durch den Energiekrieg gegen die EU deren Unterstützung für die Ukraine zu schwächen und Europa auseinanderzudividieren.

Der EU ist es allerdings gelungen, den Gasverbrauch stark zu reduzieren, die Lieferquellen zu diversifizieren (insbesondere LNG aus den USA) und weitere LNG-Terminals für den Import in Betrieb zu nehmen. Insbesondere Deutschland war hier erfolgreich, sodass eine Gasmangellage in diesem Winter und voraussichtlich auch im nächsten vermieden werden kann. In Deutschland wurden die Einsparungsziele für den Gasverbrauch von etwa 10 bis 25 Prozent im Vergleich zum üblichen Verbrauch auch wetterbedingt leicht erreicht.

Putin wurde im Wirtschaftskrieg gegen die EU auch nicht von seinem Verbündeten China unterstützt - im Gegenteil leitete die Volksrepublik eigentlich für China bestimmte LNG-Tanker nach Europa um und half so der EU. Dies auch, weil China in der EU wesentlich höhere Preise für LNG-Gas erzielte. China liefert auch keine Waffen an Russland, sodass dieses sich an den Iran und Nordkorea wenden muss.

Das Scheitern von Putins Strategie zeigt sich auch daran, dass die Gaspreise seit dem Sommer 2022 wieder stark gefallen sind. Der Februar-Gaskontrakt des Dutch TTF (des europäischen Großhandelsgaspreises) lag am 27. Jänner bei 55,43 Euro je Megawattstunde, nach fast 350 Euro im Sommer 2022. Er liegt jetzt unter Preisniveau zum Zeitpunkt des Angriffs Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. Gas ist immer noch relativ teuer, der Durchschnitt von 2015 bis 2021 lag bei 22 Euro. Es ist zu erwarten, dass der Gaspreis in den nächsten Jahren auch noch relativ volatil bleiben wird.

 

Längerfristig dürfte der LNG-Preis in Europa ähnlich hoch wie in Asien sein, da hier ein Gasweltmarkt entsteht. Auch der Unterschied zum Gaspreis in den USA, der aufgrund des dortigen hohen Gasangebotes durch Fracking wesentlich niedriger ist, wird sich verringern, aber nicht angleichen (Verflüssigung und Vergasung sowie Transport kosten eben mehr), da die Märkte diese Preisunterschiede arbitrieren, denn der Gasexport aus den USA bringt hohe Gewinne. Russland kann seine Gasexporte, die überwiegend über Gasleitungen in die EU gehen, viel schwerer diversifizieren als die EU ihre Gasimporte.

EU-Embargo auf Ölprodukte aus Russland

Die Sanktionen der EU im Energiebereich betrafen zuerst Kohleexporte, dann im Dezember Ölexporte, und erst im heurigen Februar werden sie für die Exporte von Ölprodukten greifen. Russland erwartet, dass die westlichen Sanktionen und das Embargo auf Ölprodukte, das am 5. Februar in Kraft tritt, erhebliche Auswirkungen auf seine Exporte und seine Produktion von Ölprodukten haben werden. Die ungenutzte Ölraffineriekapazität in Russland dürfte laut Industriequellen und Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters heuer gegenüber dem Vorjahr um 29 Prozent auf 26,6 Millionen Tonnen ansteigen.

Die G7 haben auch einen Preisdeckel von 60 Dollar je Barrel für russisches Öl eingeführt. Schon davor wurde allerdings russisches Öl (Urals) mit einem Abschlag von etwa 30 Dollar je Barrel gegenüber Nordseeöl (Brent) gehandelt. Dies hat die russischen Einnahmen aus Energieexporten bereits gedämpft und wird sie heuer weiter einbrechen lassen.

Laut der russischen Notenbank ist der russische Leistungsbilanzüberschuss im 4. Quartal 2022 auf umgerechnet 31 Milliarden US-Dollar gesunken, nach 48 Milliarden Dollar im 3. Quartal 2022. Wie stark diese Einnahmen zurückgehen, wird allerdings wesentlich von der Entwicklung der Ölpreise abhängen. Die Opec erwartet für das heurige Jahr einen Anstieg der globalen Ölnachfrage um 2,2 Millionen Barrel pro Tag, das sind plus 2,2 Prozent, wovon ein Viertel auf China zurückzuführen ist.

Es ist zu hoffen, dass Putins Strategie nicht aufgeht. Die Sanktionen sind wirksame Gegenmaßnahmen im hybriden Krieg, den Russlands gegen die EU führt. Die Lösung für Europa kann daher nur sein, den Ausbau der alternativen Energieproduktion (insbesondere Solar, Wind und Erdwärme) voranzutreiben und noch mehr Energie einzusparen. Öl und Gas sollten im Transport- und Wärmemarkt durch Strom ersetzt werden, um die Energieautarkie der EU zu stärken.