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Virtuelle Hauptversammlung auf der langen Bank?

Von Florian Dollenz und Franz Sterba

Recht
Florian Dollenz ist Rechtsanwalt in Wien und war zuvor Universitätsassistent am Institut für Unternehmensrecht an der Universität Graz.

Die bloß befristete Verlängerung des erprobten Formats bedeutet weiterhin Rechtsunsicherheit für Aktiengesellschaften und deren Aktionäre.


Der Gesetzgeber hat die Covid-19-Vorschriften über virtuelle Versammlungen nun erneut befristet verlängert. Das mit der Pandemie eingeführte und in den vergangenen Jahren erprobte Format der virtuellen Hauptversammlung wird zumindest vorerst nicht dauerhaft in das Gesellschaftsrecht übernommen. Für Aktiengesellschaften und deren Aktionäre bedeutet dies weiterhin Rechtsunsicherheit über die Zukunft virtueller Versammlungen.

Die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht hat mit der Pandemie Fahrt aufgenommen. Zur Eindämmung der Pandemie galten weitgehende Verkehrsbeschränkungen, die persönliche Zusammenkünfte verhinderten. Um das Wirtschaftsleben aufrechtzuerhalten, wurde das Homeoffice für viele zum Alltag, und auch die Versammlungen der Entscheidungsträger und Eigentümer von juristischen Personen wurden in den virtuellen Raum verlegt. Obwohl die technischen Voraussetzungen für die Videokonferenzen schon seit mehreren Jahren vorhanden waren, haben sie sich gezwungenermaßen erst im Zuge der Pandemie etabliert.

Emotionsloserer Ablauf als bei physischen Versammlungen

Mit der abrupten Umstellung mussten viele Aktionäre technisches Neuland betreten. Denn anders als bisher konnten Stimm-, Rede- und Teilnahmerecht an der Hauptversammlung nur virtuell über eine Videokonferenz-Software ausgeübt werden. Die Teilnahme der Aktionäre ist ortsunabhängig und für den Aktiengesellschaften in der Regel mit einer Kostenersparnis verbunden. Die ersten Erfahrungen in der Praxis haben gezeigt, dass der Ablauf der virtuellen Hauptversammlung emotionsloser erfolgt. Insgesamt wirkt die Interaktion der Teilnehmer weniger lebendig. Ebenso wie in der physischen Versammlung kann es aber zur Anfechtung gefasster Beschlüsse, etwa aufgrund einer Verletzung von Informations- oder Auskunftsrechten kommen.

Nach knapp zweijähriger Bewährungsprobe der virtuellen Hauptversammlung stand im Herbst die dauerhafte Beibehaltung dieser Abhaltungsform im Raum. Das Justizministerium hatte einen Entwurf über ein Gesetz zur Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen erarbeitet und stellte diesen zur Diskussion. Inhaltlich orientierte sich dieser Gesetzesentwurf primär an der Umsetzung der virtuellen Hauptversammlung in Deutschland. Gesellschaften sollte es im Wesentlichen möglich sein, ihre Versammlungen physisch, virtuell oder hybrid abzuhalten. Die Entscheidung darüber sollte aber letztlich dem Satzungsgeber, somit der entsprechenden Aktionärsmehrheit, überlassen werden. Für börsennotierte Gesellschaften wären spezielle Regelungen vorgesehen, wie die verpflichtende Eröffnung eines eigenen Kommunikationsweges, um vorab Fragen und Beschlussanträge übermitteln zu können.

Zögerliches Vorgehen des Gesetzgebers

Heftige Kritik an diesen Plänen der Regierung äußerte vor allem der Interessenverband für Anleger (IVA). So führe die virtuelle Hauptversammlung für kleinere Aktionäre zur Einschränkung ihrer Rechte, wurde argumentiert. Auch eine Internationalisierung und Kostenersparnis wurde bezweifelt. Nach langer Diskussion verhielt sich der Gesetzgeber zunächst zögerlich und verlängerte letztlich (zum dritten Mal) die zeitlich befristeten Übergangsvorschriften der Pandemie bis zum 30. Juni 2023. Für österreichische Aktiengesellschaften und deren Aktionäre bleibt somit weiterhin unklar, ob und in welcher Form das virtuelle Format der Hauptversammlung Bestand haben wird. Außer Frage steht, dass dieses Vorgehen nicht als Offensive für die Standortattraktivität verstanden werden kann.

Der Blick über die Grenzen zeigt hingegen, dass die virtuelle Versammlung gekommen ist, um zu bleiben. Während in der Schweiz eine dauerhafte Regelung für virtuelle Versammlungen seit längerem geplant und nun umgesetzt wurde, hat Deutschland die Übergangsvorschriften aus der Pandemie in Hinblick auf den Schutz der Aktionärsrechte adaptiert und ins Dauerrecht überführt. Auch in Großbritannien wurde die Möglichkeit für virtuelle Versammlungen beibehalten. In Italien und einigen US-Bundesstaaten war die virtuelle Hauptversammlung sogar bereits vor Corona gelebte Praxis. Ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen fehlt hierzu. Es bleibt daher abzuwarten, ob der internationale Trend auch in Österreich aufgenommen wird und die virtuelle Hauptversammlung dauerhaft in das Gesellschaftsrecht integriert wird.

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