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Software und Hardware der Demokratie

Von Manfried Welan

Gastkommentare
Manfried Welan ist seit 50 Jahren Verfassungspolitologe. Er war unter anderem in Wien ÖVP-Stadtrat und Dritter Landtagspräsident sowie langjähriger Rektor der Boku.
© Christoph Gruber / c.gruber@boku

Wir sind noch ein Entwicklungsland in Hinblick auf die direkte Demokratie.


Jede Demokratie baut auf ungeschriebenen Voraussetzungen auf. Dazu gehört der Gemeinschaftswille zum friedlichen und gewaltfreien Zusammenleben, zum Miteinander-Reden und Aufeinander-Hören, zum Eingehen und Einhalten von Versprechen. "Durchs Reden kommen d’Leut z’samm’", sagten meine Eltern. Anstand und Ehrlichkeit gehören dazu. Viktor Frankl zufolge gibt es ja nur zwei Rassen: die Anständigen und die Nicht-Anständigen. Anständigkeit schafft Vertrauen, und Vertrauen ist die Grundlage des Erfolges.

Der ehemalige Schweizer Bundespräsident Kaspar Villiger spricht von der Software der Demokratie. Sie ist der kulturelle Unterbau der demokratischen Spielregeln. Die Hardware ist der bekannte verfassungsbasierte, gewaltenteilige und demokratische Rechtsstaat. Aber Villiger weist in der "Neuen Zürcher Zeitung" (Ausgabe Nummer 12/2023, Seite 31) mit Recht darauf hin, dass mit dem sicheren Wissen über den Rechtsstaat die Unsicherheit der Software verbunden ist, irgendwie diffus, schwer fassbar, schwer beeinflussbar. Daher ist auch der Rechtsstaat immer in Gefahr.

Für den Schweizer Villiger sind die direkte Demokratie und der Föderalismus wirksame Stabilisatoren. Wir sind noch ein Entwicklungsland in Hinblick auf die direkte Demokratie. Deren Entwicklung wurde von Anfang an von den Parteien verhindert oder behindert. Sie haben schon am Anfang die direkte Demokratie stiefmütterlich behandelt. Lassen wir uns von Villiger sagen: "Die direkte Demokratie verändert das Verhältnis der Bürger zum Staat, fördert das Wir-Gefühl und erhöht die Akzeptanz politischer Entscheide." Mehr direkte Demokratie gehört also zu unserer "Generalsanierung".

Villiger nennt auch die bekannten Gifte, die das Vertrauen vernichten, dass das größte Kapital einer Demokratie ist. Wir kennen diese Gifte zur Genüge: Korruption, Sündenbocksyndrom, "Terrible Simplification"-Syndrom, Fundamentalisierungssyndrom. Zu jedem Gift fällt uns etwas ein. Die Erste Republik ist an Apperzeptionsverweigerung, an Kommunikationsverweigerung und am Fundamentalisierungssyndrom zugrunde gegangen. Die Zweite Republik ist durch Zusammenarbeit und Zusammenhalt, Sozialpartnerschaft und Kooperation zu einer Erfolgsstory geworden.

Diesbezüglich können wir jetzt von den großen Zeiten der Zweiten Republik, die uns die Souveränität und den Staatsvertrag, die Neutralität und den Beitritt zur EU verwirklicht haben, lernen.