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Europas immer noch unvollendeter Binnenmarkt

Von Christian Mandl

Gastkommentare
Christian Mandl ist seit 2001 Abteilungsleiter in der WKÖ ("Europapolitik").
© WKÖ

Die Krise macht die Vorteile von einer der größten Errungenschaften der EU sichtbar.


Der seit 30 Jahren existierende Europäische Binnenmarkt mit etwa 450 Millionen Einwohnern hat das tägliche Leben der Bürger und Unternehmen stark vereinfacht. 56 Millionen zusätzliche Jobs wurden geschaffen. Für die heimische Wirtschaft war der gleichberechtigte Zugang zum Binnenmarkt besonders wichtig. Seit Österreichs EU-Beitritt (1995) stiegen die Exporte in die anderen EU-Staaten von damals 33 Milliarden auf 112 Milliarden Euro im Jahr 2021 (bei weltweiten Exporten von 166 Milliarden Euro). Die Exportquote (Waren- und Dienstleistungen) stieg von 33,6 Prozent (1995) auf 55,9 Prozent (2021) und liegt damit über dem EU-Durchschnitt. Der Außenhandel der 63.000 österreichischen Exportbetriebe ist ein überaus wichtiger Wirtschaftsfaktor und Konjunkturmotor. Jede Euro-Milliarde an Exportvolumen sichert mehr als 10.000 Arbeitsplätze, fast jeder zweite ist direkt oder indirekt vom Export abhängig.

Die EU-Kommission hat die Kosten der Bürokratie an der Grenze vor dem Binnenmarkt mit 2 bis 5 Prozent des Warenwerts kalkuliert. Da 70 Prozent der Exporte (112 Milliarden Euro) auf die anderen EU-Staaten entfallen, ersparen sich heimische Unternehmen im EU-Export heute bereits rund 2,2 bis 5,5 Milliarden Euro jährlich. Viele Aufträge kämen nicht zustande, stünde Österreich noch außerhalb der EU. Dazu kämen technische Handelshemmnisse, Steuerschranken etc. - Hindernisse, die Großbritannien seit dem Brexit hat.

Je stärker mittelständische Industrie, Zulieferer und Exportbranchen in einer Region verankert sind, desto höher sind in der Regel auch die Einkommensgewinne - Voraussetzungen, die auf Österreich zutreffen. So zählt Österreich neben Luxemburg, Irland, Belgien und den Niederlanden zu den Top-Profiteuren. In Österreich wiederum schneiden Vorarlberg, Salzburg, Tirol, Wien und Oberösterreich überdurchschnittlich gut ab.

Die Corona-Pandemie und Russlands Krieg gegen die Ukraine haben bei manchen EU-Ländern protektionistische Tendenzen geweckt. Medizinische Produkte für andere EU-Staaten wurden zurückgehalten, Dienstleistungserbringer und Arbeitnehmer konnten aufgrund geschlossener Grenzen nicht mehr jenseits dieser arbeiten. Extreme Preissteigerungen und Knappheit von Gütern lieferten den Vorwand, den Export - auch innerhalb der EU - zu beschränken, dem eigenen Staat Vorkaufsrechte einzuräumen oder zumindest Genehmigungspflichten einzuführen.

Die größten Hindernisse für grenzüberschreitende Tätigkeiten sind Einschränkungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, unterschiedliche Steuersysteme, Probleme bei der Arbeitnehmerentsendung, mangelhafte Umsetzung oder Umgehung europäischer Vorschriften, zunehmender Protektionismus und diskriminierende Maßnahmen gegenüber Investoren aus anderen EU-Staaten. Vertragsverletzungsverfahren dauern durchschnittlich 37,3 Monate. Die EU-Kommission sollte deshalb den Fokus auf eine einheitliche Anwendung, Umsetzung und Durchsetzung der bestehenden Vorschriften und eine Straffung des Vertragsverletzungsverfahrens legen.

Eine Langfassung dieses Textes ist als Policy Brief der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik erschienen: www.oegfe.at/policy-briefs