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Sechs Forderungen für den Biodiversitätsschutz

Von Elisabeth Haring und Friedrich Schiemer

Gastkommentare

Es besteht Handlungsbedarf für Politik und Forschung.


Die enorme Gefährdung der österreichischen Artenvielfalt ist vielfach dokumentiert. Die Ursachen liegen nicht einzig im Klimawandel. Auch wenn dieser als globaler Stressfaktor von eminenter Bedeutung ist, spielen unmittelbare Eingriffe des Menschen, die zu Lebensraumverlust für viele Arten führen, die Hauptrolle: Wachsender Nutzungs-, Erschließungs- und Siedlungsdruck, industrialisierte Land-, Forst- und Wasserwirtschaft führen unmittelbar zu Biodiversitätsverlust.

Die Verarmung von Lebensgemeinschaften gefährdet wichtige Landschaftsfunktionen und "ökologische Dienstleistungen", wie Selbstreinigungsprozesse von Gewässern, Regeneration von Böden, CO2-Bindung und anderes. Dies muss von der Öffentlichkeit verstärkt wahrgenommen werden, um erforderliche Schutzstrategien politisch umsetzen zu können.

Führende österreichische Naturschutzexperten haben im jüngsten Heft der Zeitschrift "Acta ZooBot Austria" der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft eine Stellungnahme zu "Dringenden Erfordernissen zur Erhaltung und Förderung der österreichischen Biodiversität" veröffentlicht. Diese richtet sich primär an die politisch Verantwortlichen. Sie ist aber auch als Anregung für weitere Fachdiskussionen von Naturschutzexperten gedacht. Die 18 Autoren der Stellungnahme wiesen vor allem auf sechs dringende Erfordernisse hin:

Notwendigkeit eines flächendeckenden Biodiversitätsschutzes

Eine Beschränkung von Naturschutzleistungen auf Schutzgebiete - sozusagen die politische Pflichtabgeltung - ist nicht ausreichend: Biodiversitätsschutz muss auf ganzer Fläche etabliert werden, um die Erhaltung charakteristischer, strukturreicher Landschaften als Grundlage der Artenvielfalt zu sichern. Andererseits muss aber auch das Ausmaß von Schutzgebieten entsprechend der "EU-Biodiversitätsstrategie 2030" erweitert und vernetzt werden. Diese Aufgabe sollte von den politisch Verantwortlichen im Rahmen einer nationalen Gesamtstrategie unmittelbar und konsequent in Angriff genommen werden.

Weiterentwicklung von Schutzkonzepten

Schutzmaßnahmen und die Entwicklung von Managementplänen erfordern klare und positiv formulierte Zieldefinitionen, die mit den Nutzern und Interessensvertretern kommuniziert und abgestimmt sind. Unter dem übergeordneten Langzeitziel "Naturschutz auf ganzer Fläche" ist es unabdingbar, dass für alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Handels ein Kriterienkatalog zur "guten fachlichen Praxis zur Förderung der Biodiversität" erarbeitet wird. Ein solcher Katalog sollte eine Konkretisierung einer Natur-schonenden und nachhaltige Nutzung in der Land- und Forstwirtschaft beinhalten. Als Beispiele wären hier eine Düngeverordnung, Mahd- und Beweidungskonzepte oder Brachen als Regenerationsflächen zu nennen.

Stärkung des Prozessschutzes

Charakteristische Artengemeinschaften können nur erhalten werden, wenn die landschaftsbestimmenden Rahmenbedingungen und Prozesse, zum Beispiel Grundwasserspiegel und -dynamik, hydrologische Dynamik in Flusslandschaften, langfristige Waldentwicklung und anderes, gesichert sind. Diese als Prozessschutz bezeichnete Herangehensweise hat langfristig eine noch höhere Wirkungseffizienz als individueller Artenschutz. Gezielte Forschung ist dringend erforderlich, um die empirischen Grundlagen für einen effizienten Prozessschutz zu verbessern. Dazu ist nicht nur die Diskussion unter Naturschutzexperten erforderlich. Auch der Diskurs mit den Entscheidungsträgern in der Politik muss intensiviert werden, um die Anwendungen des Prozessschutzkonzeptes zu verankern.

Verbesserung der Wissensgrundlage und ihrer Vermittlung an die Öffentlichkeit

Gezielte Forschung zum Thema Biodiversitätsschutz sowie zur Weiterentwicklung von Monitoring-Konzepten erfordert ein nationales Förderungsprogramm. Das schließt einen Schwerpunkt zur Förderung der Artenkenntnis vieler wichtiger Organismengruppen mit ein, für welche in den letzten Jahrzehnten die Expertise weitgehend verlorengegangen ist. Es besteht dringender Bedarf an einer zielgerichteten Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Museen, Planungsbüros und anderen, um die Wissensbasis der Biodiversitätsgefährdung zu verbessern.

Intensivierter Dialog von Naturschutzexperten, Interessenvertretern und Entscheidungsträgern

Es ist ein dringendes Erfordernis für den Biodiversitätsschutz, dass die Interaktion von Experten, Stakeholdern, Behörden und politischen Entscheidungsträgern verbessert wird. Wichtig wäre die Einrichtung von Gremien, in denen Naturschutzexperten in die Vorbereitung von politischen Entscheidungen eingebunden sind. Eine andere wichtige Forderung ist die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel, um Naturschutz auch für Grundbesitzer und Landschaftsnutzer attraktiv zu machen. Durch den wirtschaftlichen Druck zur Ertragsmaximierung in der Land- und Forstwirtschaft, einer oft einseitigen Konzeption in der Verkehrsplanung, stark wachsende Flächenansprüche in Siedlungsbau, Gewerbe und Tourismuswirtschaft sind die Zielkonflikte gegenüber dem Naturschutz nahezu unlösbar geworden. Deshalb muss der Dialog zwischen Biodiversitätsschutz und Nutzern verstärkt und die Zusammenarbeit ausgeweitet werden. Entwicklung und Umsetzung gezielter Marketingstrategien des Biodiversitätsschutzes zur Aufklärung und Einbindung und Sensibilisierung der Bevölkerung sollten verbessert werden, um die politische Akzeptanz zu erhöhen.

Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen

Aufgrund des Föderalismusprinzips bleiben die rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich oft ineffektiv. Naturschutz ist in Österreich Ländersache, was zu dem Ergebnis führt, dass neun unterschiedliche Naturschutzgesetze bestehen, in denen auch die unionsrechtlichen Vorgaben unterschiedlich umgesetzt werden. Es ist daher dringend erforderlich, dass der Bund eine Grundsatzkompetenz zumindest hinsichtlich der Umsetzung der Naturschutzrichtlinien der EU erhält. Das wichtigste Naturschutzwerkzeug, "Natura 2000", ist vielfach ineffektiv, da über das Verschlechterungsverbot eine Langzeitsicherung essenzieller Habitat- und Landschaftsstrukturen nicht gewährleistet werden kann. Es ist unabdingbar, dass für sämtliche "Natura 2000"-Gebiete Managementpläne mit tatsächlichen Entwicklungszielen ausgearbeitet und verordnet werden.

Daneben zeigen die praktischen Erfahrungen, dass die Vorgaben eines umfassenden Biodiversitätsschutzes in den behördlichen Genehmigungsverfahren und in der Strafverfolgung meist unzureichend berücksichtigt werden. Fehlverhalten wird häufig als Stand der Pragmatik oder als Kavaliersdelikt behandelt. Ein weiteres gravierendes strukturelles Hindernis bei der Umsetzung von naturschutzkonformen Raumordnungskonzepten liegt in Österreich darin, dass die Raumordnungskompetenz bei den Gemeinden liegt. All dies zeigt, dass es zur Verbesserung des Biodiversitätsschutzes einer Verwaltungsreform bedarf, einer übergeordneten Bundeskompetenz sowie bundesweiter rechtlicher Rahmenvorgaben.•