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Wie grün ist die Lebensmittelindustrie?

Von Henrik Pontzen

Gastkommentare
Henrik Pontzen leitet den Bereich ESG (Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung) im Portfoliomanagement von Union Investment.
© Union Investment

Der Druck auf Unternehmen steigt, ihre Versprechen auch wirklich in die Tat umzusetzen.


Nach zwei Jahren Corona-Pause fand vor kurzem die "Internationale Grüne Woche" (IGW) in Berlin wieder statt. Die großen Lebensmittelkonzerne nutzen das Forum der weltgrößten Ernährungsmesse gern, um neue Geschäftsfelder und innovative Produkte gerade auch im Bereich Nachhaltigkeit zu präsentieren. Nestlé, Danone und Mondelez etwa sind Teilnehmer einer Initiative, die in Berlin unter dem vielversprechenden Motto "Wie schmeckt die Zukunft" ausstellte. Doch wie grün sind die jeweiligen Unternehmen tatsächlich? Für nachhaltig orientierte Investoren ist das hoch relevant, zumal einige der Konzerne eine sehr hohe Börsenkapitalisierung haben. Union Investment hat deshalb 20 Firmen der Lebensmittelbranche, darunter die drei genannten, unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten analysiert. Die Resultate sind ausgesprochen heterogen. Beispielsweise landet Mondelez unter den Schlusslichtern der Analyse, während Danone zu den Vorreitern in Sachen Nachhaltigkeit zählt.

Die Nachhaltigkeitsprobleme der Lebensmittelbranche und des vorgelagerten Agrarsektors sind breit gestreut. Im Vordergrund stehen Umweltthemen: Die Emission von CO2 und anderen Klimagasen, Waldrodung, Verschmutzung von Wasser und Böden durch Düngemittel und Pestizide, Biodiversitätsverluste sowie Verpackungsmüll gehören zu den wichtigsten ökologischen Aspekten. Hinzu kommen soziale Aspekte wie die Verletzung von Arbeitsnormen in der Lieferkette (etwa bei Bauern), gesundheitliche Fragen der Ernährung und die Verschwendung von Lebensmitteln. Die lange Liste zeigt, vor welchen Herausforderungen gerade große, breit aufgestellte Nahrungshersteller stehen.

Gleichzeitig steigt der Druck von Öffentlichkeit und Investoren auf die Unternehmen. Die Lebensmittelkonzerne können dies immer weniger ignorieren und gehen zumindest kommunikativ in die Offensive. "Snacking made right" - unter diesem Slogan präsentierte etwa das US-Unternehmen Mondelez, das überwiegend Snacks und Süßwaren (unter anderem Milka) herstellt, seine Nachhaltigkeitsstrategie. Gleichwohl landet der Konzern in unserer ESG-Analyse, ebenso wie der Wettbewerber Lindt & Sprüngli, in der Gruppe der Schlusslichter. Ein typisches Muster dieser Firmen ist, dass ihre Initiativen etwa in den Bereichen kritische Lieferketten (unter anderem bei Kakao) und Verpackungsmüll bisher nicht ausreichen, um eine grundlegende Verbesserung des Nachhaltigkeitsstatus zu erreichen.

Einseitige Produktausrichtung erschwert Wandel

Hinzu kommt, dass die Herausforderungen für Unternehmen, die stark auf eine bestimmte Produktgruppe spezialisiert sind, einer Quadratur des Kreises gleichkommen: Um wirklich nachhaltig zu werden, müssten sie ihr Geschäftsmodell fundamental neu ausrichten. Denn unter den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen findet sich auch der Bereich Gesundheit und damit Themen wie Übergewicht und Diabetes - eine große Herausforderung für Süßwarenhersteller wie Mondelez oder Lindt & Sprüngli. Aus ESG-Perspektive ist deshalb das Fazit für diese Unternehmen vorerst eher bitter als süß.

Auch für andere Unternehmen mit einseitiger Produktausrichtung gilt, dass aus einer Ente schwerlich ein Schwan wird, beispielsweise bei großen Fleischkonzernen. Gerade die Rindfleischproduktion gehört zu den größten Umwelt- und Klimasündern überhaupt. Natürlich ist es prinzipiell möglich, die schädlichen Wirkungen durch gezielte Initiativen abzuschwächen. Aber wirklich nachhaltig sind aus heutiger Sicht nur die massive Reduktion tierischer Proteine und die Umstellung auf pflanzliche Alternativen. Das heißt unter anderem: weniger Fleischkonsum. Auch deshalb gehören Tyson Foods (USA) und JBS (Brasilien) eindeutig zu den Schlusslichtern bei unserer Analyse.

Auf der anderen Seite des Analysespektrums haben wir Vorreiter identifiziert, etwa das Unternehmen Danone, ebenfalls ein Teilnehmer der "Grünen Woche". Die Nachhaltigkeitsstrategie des Lebensmittelkonzerns ist ambitioniert. Beispielsweise liegt ein klarer Fokus auf dem Angebot pflanzlicher Milchalternativen. Zudem sollen bis 2025 nur noch Verpackungen aus recyceltem Material eingesetzt werden. Generell gilt für die Unternehmen, denen unsere Analyse einen Vorreiterstatus bescheinigt: Produkte, Dienstleistungen und Herstellungsverfahren haben einen klaren ESG-Fokus und bieten Lösungen für bestehende Probleme und ökologische Herausforderungen an. Diese Diagnose trifft für klassische Lebensmittelkonzerne wie Danone, Kerry und General Mills zu, aber auch für Spezialisten wie Darling Ingredients, der für das Recycling von Speisefetten bekannt ist.

Kontinuierliche Neubewertung erforderlich

Die Unternehmen im Mittelfeld haben wir in Nachzügler (unteres Mittelfeld) und Transformer (oberes Mittelfeld) gruppiert. Nachzügler haben mit Verzögerung den Einstieg in die nachhaltige Transformation gefunden, stehen hier aber meist noch ganz am Anfang. Häufig ist auch noch nicht transparent, ob der Weg zum besseren ESG-Status wirklich konsequent beschritten wird. Bei den Transformern sind die Konturen der Transformation schon deutlich klarer und die Initiativen verbindlicher. Es ist aber ein deutlicher Rückstand auf die Vorreiter erkennbar, häufig sind schlicht die Altlasten der weniger nachhaltigen Vergangenheit zu groß.

Nestlé, der umsatzstärkste Lebensmittelhersteller der Welt, hat sich in den vergangenen zwölf Monaten in unserer Analyse vom Nachzügler zum Transformer vorgearbeitet. Der Grund dafür sind eher kleine Verbesserungen in der Breite als umfassende Veränderungen. Nichtsdestotrotz ist etwa der Fokus auf der Erschließung pflanzlicher Nahrungsalternativen klar erkennbar. Trotzdem investieren nachhaltige Fonds von Union Investment bisher nicht in den Marktführer aus der Schweiz. Es gibt einfach noch zu viele öffentliche Kontroversen und Rechtsstreitigkeiten. Kontroverse Themen sind ökologische und soziale Probleme in der Lieferkette (zum Beispiel Arbeitsbedingungen auf Kakaoplantagen in Afrika), aber auch andere Nachhaltigkeitsthemen. Aus Investorenperspektive ist Nestlé ein gutes Beispiel dafür, dass bestehende Nachhaltigkeitsrisiken einerseits und Transformationsfortschritte andererseits kontinuierlich neu zu bewerten sind.

Das Booklet zur Nachhaltigkeit von Lebensmittelkonzernen finden Sie hier.