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Migration und Identifikation

Von Daniel Witzeling

Gastkommentare
Daniel Witzeling ist Psychologe, Sozialforscher und Leiter des Humaninstituts Vienna.
© privat

Gelungene Integration beinhaltet eine Wechselwirkung zwischen In- und Ausländern.


Wien ist anders. Die soziodemografische Entwicklung hat die Bundeshauptstadt, aber ebenso andere Landeshauptstädte, über die vergangenen Jahrzehnte signifikant verändert. Eine Aussage des ranghohen FPÖ-Politikers Gottfried Waldhäusl, warum "Wien nicht mehr Wien" sei, goss jüngst erneut Öl ins Feuer einer schon lange durch die Freiheitlichen geschickt instrumentalisierten und aus der Perspektive nicht weniger Menschen berechtigten Diskussion zum Thema Integration und Migration. Neben dem rasanten Wandel in der Arbeitswelt durch neue Technologien und Anforderungen kommt es für viele Fortschrittsverlierer zu einem gefühlten Verdrängungswettbewerb mit Personen aus anderen Kulturkreisen - und zwar auch in ihrem heimatlichen Lebensraum und Wohnort.

Der konflikt- und emotionsgeladene Themenkomplex der Einwanderung und die damit verbundene Ausländerthematik treffen Österreichs Bevölkerung zentral in der Seele. Dabei ist die einstige Monarchie selbst mehr oder minder Produkt einer permanenten Migrationsbewegung. Die Angst vor dem Fremden und der Überfremdung ist zumeist eine Projektion eigener negativer Anteile auf Facetten des Anderen und Unbekannten. In einer komplexen Gemengelage aus Zukunfts- und Abstiegsängsten und sich rasant changierenden Rahmenbedingen am Bildungs- und Arbeitssektor kommen andere Kulturen und Wertegemeinschaften nicht immer zum besten Motivationszeitpunkt für gelungene Integration zu unserer Gemeinschaft hinzu.

Die FPÖ unter Herbert Kickl hat nun nach Ibiza den einst wirkungsvollen Begriff der "Festung Europa" aus dem identitären Dunstkreis mutiert und ihn als "Festung Österreich" in martialischer Pose mit dem Parteichef als Coverboy wiederbelebt. Der Haken an dieser mentalen Schutzkonstruktion: Eine Festung bedeutet nicht nur eine Absicherung nach außen, sondern auch eine innere Isolation. Wer den Zufluss von humanem und intellektuellem Potenzial und andere Einflüsse verhindert, gerät zwangsläufig über kurz oder lang in eine metaphorische geistige Einbahnstraße. Denn auf dem Markt des globalen Wettbewerbs spielen am Ende Alter, Geschlecht, Glaube, sexuelle Präferenz oder Nationalität keine Rolle, wenn es um den Faktor Leistung und die damit verbundene Intelligenz als multidimensionales Konstrukt geht.

Seit Charles Darwins Theorie des "Survival of the Fittest" wissen wir, dass jene Individuen überleben, die am besten an ihre Umwelt angepasst sind. Diese Anpassung findet beim Menschen unter anderem durch das gegenseitige Ergänzen von Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und daraus resultierende Kooperation quer über nationale Grenzen hinweg statt. Gerade in Zeiten des Ukraine-Konfliktes brauchen wir mehr denn je Kooperation statt Konfrontation, wir brauchen kein infantiles Kräftemessens oder die Abwertung anderer.

Um dies auf dem polarisierenden Themengebiet der Integration zu bewerkstelligen, darf man einerseits die Inländer nicht überfordern, um Akzeptanz zu ermöglichen. Andererseits muss die Bereitschaft von Herrn und Frau Österreicher gefördert werden, die kognitiven Scheuklappen zu lockern und das Thema Migration differenzierter wahrzunehmen. Wie stellte einst der Grandseigneur Helmut Schmidt provokant fest: "Die Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen, ist eine Sache. Jedes Jahr eine Million reinzulassen nach Deutschland, ist eine andere Sache."