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Der Absturz eines schottischen Stars

Von Melanie Sully

Gastkommentare
Melanie Sully ist britische Politologin und Direktorin des in Wien ansässigen Instituts für Go-Governance. Sie hat unter anderem als Konsulentin für die OSZE und den Europarat in Straßburg gearbeitet und ist Mitglied des Royal Institute of International Affairs in London.
© Weingartner

Nicola Sturgeons Rücktritt stellt ihre Partei vor ein Dilemma.


Nicola Sturgeon, seit dem Jahr 2014 First Minister Schottlands, muss wohl mit den ehemaligen britischen Premierministern Tony Blair und David Cameron mitgefühlt haben, die, als sie zurücktraten, seufzten: "Ich war einmal die Zukunft." Bei jungen, progressiven Wählern genoss Sturgeon einst hohes Ansehen und konnte mit ihrer Rhetorik punkten. Ihr zentralistischer Führungsstil half, die zentralisierte Macht Londons in Schottland zu beenden. Der Popanz war der englische Nationalismus der Tories und anderer englischer "Schurken". Dieser dem schottischen Unabhängigkeitsstreben gegenüberstehende Nationalismus war nützlich. Freilich war der englische Nationalismus recht diffus und inkonsequent. Oft war es eher ein Phantom, das beliebig ausgepackt und dort verortet werden konnte, wo es gerade opportun war. Der Sauerstoff für Sturgeons Scottish National Party waren daher Angriffe auf den damaligen Londoner Premier Boris Johnson und seine Nachfolgerin Liz Truss, die Sturgeon als Selbstdarstellerin bezeichnete.

Der jetzige Premier Rishi Sunak legt einen moderaten Tonfall an den Tag und versucht eine Charmoffensive mit seinem bisweilen etwas dämlich wirkenden, strahlenden Lächeln. Labour-Parteichef Keir Starmer, sein möglicher Nachfolger in der Downing Street, wirkt genauso langweilig.

Der Oberste Gerichtshof erteilte Sturgeons Plan, im heurigen Herbst ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ohne die Zustimmung aus London durchzuführen, eine Absage. Zusätzliche verlief sich ihr neues Gendergesetz in rechtlichen Fallstricken. Ihre Umfragewerte gingen nach unten. In einer Zeit der allgemeinen Teuerungskrise versank ihre Partei in einer Debatte über die Frage über männliche und weibliche Identität.

Für manche englischen Kommentatoren war Sturgeons langanhaltender Erfolg ein Rätsel. Denn ihre Bilanzen im Gesundheits-und Bildungswesen oder bei der Bekämpfung der Drogenabhängigkeit - alles im schottischen Zuständigkeitsbereich - sind eigentlich miserabel. Zusätzlich interessiert sich die Polizei für das Verschwinden von Spenden aus der Parteikasse. Die Rolle von Sturgeons Ehemann, zuständig für die Buchhaltung der Partei, ist nicht geklärt. Bisweilen beansprucht die Scottish National Party eine moralische Autorität im Gegensatz zu den Tories für sich. Nun aber ist sie in der Defensive und auf der Suche nach einem neuen Parteichef, der nicht von den Wählern, sondern lediglich von den Parteimitgliedern demokratisch legitimiert ist - genau das, was Sturgeon seinerzeit Truss vorgehalten hat.

Ein zweites Unabhängigkeitsreferendum würde viele Fragen aufwerfen: zu Schengen, zum Euro, zur Nato, zu einer harten Grenze gegenüber England, ob das Land überhaupt der EU beitreten oder sich am norwegischen Modell orientieren sollte.

Der schottische Star geht, und im Hintergrund warten bereits einige Möchtegernsternchen auf ihren Aufstieg. Keines strahlt jedoch so hell, wie Sturgeon es tat. Ihre Partei steht nun vor dem Dilemma, entweder einen Nachfolger aus Sturgeons engstem Kreis zu nominieren oder ein Reset zu wagen mit einem anderen Team mit neuen Ideen, wie man den Traum von der Unabhängigkeit realisieren kann.