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Kulturelle Leuchttürme

Von Christian Vranek

Christian Vranek ist Kulturmanager. 2009 gründete er das Beratungsunternehmen Culture Creates Values, davor war er unter anderem am Aufbau des Festspielhauses St. Pölten und an der Musikuniversität Wien in leitenden Funktionen und 2008 als Management Consultant an der Rettung des Odeon Theater in Wien tätig. Unter anderem erstellte er 2015 anlässlich des 200-jährigen Jubiläums für die TU Wien ein Sponsoring-Zukunfts-Konzept und veranstaltet regelmäßig Seminare zum Thema Sponsoring/Kooperationen und der sinnvollen Zusammenarbeit von Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft.
© Gerlinde Miesenböck

Das Potenzial von bedrohten Juwelen wie Radio-Symphonieorchester, ORF Sport+ und "Wiener Zeitung" für unsere Gesellschaft.


Es war eine beeindruckende Rede, die der frühere deutsche Bundespräsident Johannes Rau im Jahr 2000 im Rahmen des Paderborner Podiums hielt. Unter dem Titel "Glauben in der Wissensgesellschaft" schlug er anhand der großen Fragen des Philosophen Immanuel Kant eine Brücke zu Glauben und Wissen. Ein Appell an Ethik und Humanität, für Werte - auch zur Orientierung, an die Verantwortung des gläubigen Menschen in seiner Bewusstheit zum Übermenschlichen, an Sinn und Geist, Glaubwürdigkeit, guten Wissenschaftsjournalismus, die Bedeutung der Technikfolgenabschätzung, den unschätzbaren Wert von Vertrauen in der Gesellschaft und im Weiteren zu Wissenschaft, Forschung und Medien - und ihre Bedeutung und Wichtigkeit auch im Zusammenhang mit der Demokratie.

Ein ganz zentraler Satz lautete: Wissen erschließt sich nur durch Bildung. Diese und eine damit verbundene Mündigkeit des Bürgers sind die Voraussetzung für die Demokratie in der Wissensgesellschaft. Rau forderte in seinem Vortrag auch dazu auf, daran zu arbeiten, und nahm die Verantwortlichen wie die Bevölkerung in die Pflicht, wider Banalisierung und Trivialisierung.

Ich bringe dieses Beispiel aus unserem Nachbarland, weil diese Werte und Ansprüche heute strapaziert erscheinen. Social Media führen mittlerweile zusätzlich zu einer Informations- und Kommunikationsflut, und das Wissen an sich hat sich weiter vervielfacht. Vielen Menschen fällt es schwer, Orientierung zu finden, zwischen wahren und Fake News zu unterscheiden. Informationen mit einem Bildungsanspruch werden gerne gegen Unterhaltung getauscht. Die Überforderung führt eher zur Unterhaltung.

Umso mehr erstaunen aktuelle Entwicklungen. Steigt nicht der Wert von Kulturträgern gerade in so einer Situation? Die Pläne etwa, die "Wiener Zeitung" künftig rein digital weiterzuführen und die tägliche Printausgabe einzustellen, verwundern ebenso wie jene, das Radio-Symphonieorchester (RSO) aufzulösen oder ORF Sport+, ein öffentliches Medium auch für Randsportarten, aufzugeben. Und wenn die Stiftung Mozarteum das Projekt Mozart Kinderorchester einstellt, ist man in Summe alarmiert.

Dass es sich beim RSO um ein Orchester mit Schwerpunkten auf Musik der Moderne und zeitgenössischer Musik sowie selten aufgeführten Opern handelt, dessen Zielgruppe ebenso wie bei der "Wiener Zeitung" intellektuelle und bildungsaffine Menschen sind, verstört. Noch dazu, wo das RSO betreff zeitgenössischer Musik auch ein Alleinstellungsmerkmal im symphonischen Bereich in Niveau, Anspruch und Ensemblegröße in Österreich hat.

Und gerade auch die Randsportarten, die ORF Sport+ zeigt, sollten wir schützen und fördern. Für ein Kulturland wie Österreich sollte dies alles einen Kultur- und Bildungsauftrag darstellen. Aber vielleicht fehlt vielfach die Bewusstheit für gelebte Kultur und den Wert, den diese Juwelen ausstrahlen. Dass wir weltweit als Kulturnation geachtet werden, hat ja vor allem damit zu tun, dass sich diese - sieht man von der finsteren NS-Zeit ab - entfalten konnte. Der Holocaust als humane und kulturelle Tragödie hat Österreich um so viel ärmer gemacht.

Sensibilität für Kultur und Menschen, die sie tragen

Die Sensibilität für Kultur und Menschen, die sie tragen, sollten wir nicht verlieren, sondern neu beleben. Wenn wir uns der Komplexität von Kultur und der Wichtigkeit ihrer Förderung nicht bewusst sind, laufen wir Gefahr, den strapazierten Anspruch an Vielfalt, ja gar eine Gesellschaft mit dem notwendigen Anspruch, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, aufzugeben. Das hätte fatale Konsequenzen. Der kulturelle Wert des Kleinen, Feinen - er ist unschätzbar und unbezahlbar. Ihn und seine Repräsentanten zu schützen, ist ein Gebot - ganz egal, ob Randsportart, Verlag, Zeitung, Orchester, Wein-, Obst- oder Gemüsesorte, Handwerk, Musik, Bildende Kunst, Kulturinitiativen, Wissenschaft . . .

Es geht im Sinne der Beachtung natürlich auch, aber eben nicht nur um die Größe der Zielgruppe und die Quote. Wird diese, was die Digitalisierung aufgrund ihres Wesens verstärkt, immer mehr zum Maßstab, kommt es quasi automatisch zur "Monotonisierung der Welt" (Zitat Stefan Zweig). Doch so werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern - zumindest nicht als weltoffene, liberale, demokratische Gesellschaft. Doch gerade wo sich immer mehr Menschen von öffentlichen Debatten verabschieden, leuchtet Johannes Raus Rede wie ein Leuchtturm auf.

Die Gefahr der Überforderung hat ja gerade Corona eindrucksvoll aufgezeigt, wie es um unsere Debattenkultur bestellt ist und welche Folgen das mit sich bringt. Die Menschen ihrem Smartphone, Tablet, Laptop zu überlassen, war in diesem Fall oft notwendig; aber diese Kultur beizubehalten, wäre zynisch. Dass Theater, Konzerte, Oper, aber auch Kleinkunstformate aktuell an Besucherrückgang leiden, sollte uns nicht entmutigen. Hilfreich wäre es sicher, die Menschen, so wie in der Pandemie via Gutschein zum Schnitzel-Essen im Restaurant, nun mit einem Kulturgutschein für Kunst und Bildung zu motivieren.

Runde Jubiläen, die Motivation sein können

Das kommende Jahr 2024 bietet aus europäischer Dimension mehrere kulturelle Leuchttürme: Da wäre der 500. Todestag des Entdeckers Indiens über den Seeweg, Vasco da Gama - Motivation und Synonym dafür, Neugierde und Entdeckergeist zu stärken, einmal etwas Neues zu unternehmen; der 300. Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant - Motivation und Synonym für die Stärkung der eigenen Urteilskraft, die Auseinandersetzung damit und in weiterer Folge auch ästhetische Bildung; der 200. Geburtstag Anton Bruckners, dessen Musik weltweit fasziniert und bewegt - Motivation und Synonym dafür, sich mit unserer Schöpfung und der heutigen Welt zu beschäftigen; der 150. Geburtstag Arnold Schönbergs, dessen zweites Streichquartett den Abschied von der an eine Tonart gebundenen Musik versinnbildlicht - Motivation dafür, sich mit der faszinierenden Entwicklung zur Neuen Musik zu beschäftigen, neue Klänge zu entdecken.

Wie viele seiner jüdischen Künstlerkollegen musste Schönberg emigrieren. Gemeinsam mit Alban Berg und Anton Webern gilt er als Begründer der zweiten Wiener Schule. Viele Komponisten, die vor den Nazis fliehen mussten, verdienten sich in den USA unter anderem mit der Komposition von Filmmusik. Ihr Schaffen wird einmal jährlich im Rahmen der Konzertveranstaltung "Hollywood in Vienna" geehrt. Als Klangkörper interpretiert das RSO jene hochkarätige Musik. Von Schönberg gibt es das so wertvolle Zitat: "Kunst kommt nicht vom Können, sondern vom Müssen." Wir erhoffen doch, und hier schlägt sich eine weitere Brücke zum RSO, dass dieser Klangkörper nächstes Jahr Schönbergs Geburtstag gebührend ehren wird, sowohl das Orchester wie der Komponist hätten es verdient.

2024 - ein wahrlich großes Kulturjahr

2024 ist aber auch Kulturhauptstadtjahr. Die Region Salzkammergut mit insgesamt 23 Städten und Gemeinden lädt unter dem Motto "Kultur ist das neue Salz" ein. Bad Ischl als Zentrum - das ist in österreichischer und globaler Dimension bewegend. Kaiser Franz Joseph unterzeichnete in Bad Ischl 1914 das Manifest "An Meine Völker!", das letztendlich Auslöser des Ersten Weltkrieges war. Das Motto der Kulturhauptstadt birgt, verbunden mit der Zeitgeschichte und der Geschichte des Salzkammergutes, viel Potenzial zur Diskussion und Reflexion und wird viele Besucher, das gebotene Programm begleitend, motivieren, die Region zu erkunden.

So haben wir 2024 ein wahrlich großes Kulturjahr vor uns, wo es gilt, die Brücken zu denken und zu bauen im Sinne auch einer zukunftsfähigen Perspektive für Europa. Mögen es Kulturträger wie die "Wiener Zeitung" und das RSO und viele andere maßgebend bereichern. Das Laboratorium Kunst kann und wird dafür viele Beiträge leisten, darüber und über die Herausforderungen der Zukunft zu reflektieren und diskutieren, es ästhetisch bereichern. Je mehr wir uns Zeit nehmen und auch Mitmenschen motivieren können, sich damit auseinanderzusetzen, umso mehr können sich die Dinge erschließen, können sich Menschen weiterbilden und ihr Leben bereichern.

Das ist ein weiterer kultureller Auftrag. Jubiläen können dafür ein gebührender Anlass sein. Ach ja, und in Paderborn lädt das Heinz Nixdorf MuseumsForum, das größte Computermuseum der Welt, für 2. März zu einem Vortrag mit dem Titel "Das Recht auf ein analoges Leben. Was die Digitalisierung mit uns macht" ein. Auch daran sollten wir arbeiten - durchaus im eigenen Interesse.