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Wider die Verstaatlichung der Parteien

Von Laurenz Ennser-Jedenastik

Gastkommentare

Mit Sorge muss man diagnostizieren, wie sich ihre Rolle als Mittler zwischen Gesellschaft und Staat verändert hat.


Was ist eine Partei? Die Lehrbuch-Antwort der Politikwissenschaft darauf lautet, dass Parteien "intermediäre" - also vermittelnde - Organisationen sind: Bindeglieder zwischen Gesellschaft und Staat. Mit einem Fuß sind sie in der gesellschaftlichen Sphäre verankert - als freiwilliger Zusammenschluss von (mehr oder weniger) Gleichgesinnten, die ihre Anliegen und Interessen artikulieren und in politische Programme kanalisieren, Personen für politische Ämter rekrutieren und mit diesem Bündel aus Programm und Personal unter einem gemeinsamen Namen bei Wahlen antreten. Mit dem anderen Fuß sind Parteien in den staatlichen Institutionen verwurzelt, wo ihre Vertreter Funktionen in Parlament und Regierung ausüben, um die "gesamtstaatliche Willensbildung", wie es im Parteiengesetz heißt, in ihrem Sinn zu beeinflussen.

In der Zweiten Republik waren Parteien lange Zeit in beiden Sphären dominante Akteure: Vor allem Volkspartei und Sozialdemokratie durchdrangen mit ihren Vorfeldorganisationen das Alltagsleben ganzer gesellschaftlicher Milieus und organisierten neben dem politischen auch das Freizeit- und Arbeitsleben. Noch 1990 war ein Viertel aller Wahlberechtigten in Österreich Mitglied einer politischen Partei. Gleichzeitig war die staatliche Sphäre weit über die im engeren Sinn politischen Institutionen Parlament und Regierung hinaus von den zwei Großparteien kolonisiert: Parteienpatronage war allgegenwärtig in Verwaltung, Schule, Sicherheitswesen, öffentlichen Unternehmen und darüber hinaus.

Ab den 1980er Jahren setzte in beiden Sphären ein Rückzug der Parteien ein, allerdings mit großen Unterschieden in Ausmaß und Form. Die gesellschaftliche Bindekraft der Parteien nahm rapide ab, Mitgliederzahlen gingen stark zurück (vor allem bei der SPÖ, etwas weniger bei der ÖVP) und die sinkende Parteiidentifikation produzierte mehr Wechselwähler, eine sinkende Wahlbeteiligung und die Chance für neue Parteien, sich zu etablieren.

In der staatlichen Sphäre erfolgte ebenso ein Rückzug der Parteien, allerdings fiel der in manchen Bereichen deutlich stärker aus als in anderen. Vor allem dort, wo es früher um die Versorgung einer großen Zahl an Parteigängern mit Wohnungen, Jobs oder anderen Gefälligkeiten gegangen war, sorgten Objektivierungen und die schrumpfende Nachfrage aufgrund einbrechender Mitgliederzahlen für sinkenden Parteieneinfluss. In anderen Bereichen, etwa der Ministerialverwaltung oder den staatseigenen Unternehmen ist die Durchdringung der Führungsebene mit parteinahen Personen selbst heute noch hoch. Anders gesagt: Die Patronage zu Versorgungszwecken ging zurück, jene zu Steuerungszwecken blieb erhalten.

Problematischer Zugriff auf öffentliche Ressourcen

Zeitgleich wurden anderswo die Bande zwischen Staat und Parteien noch enger geknüpft: Die sinkenden Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen wurden durch den sukzessiven Ausbau staatlicher Parteienförderung mehr als kompensiert. Heute schütten Bund und Länder an Parteien, ihre Akademien und parlamentarischen Klubs jährlich knapp eine Viertelmilliarde Euro aus. Die Parteienförderung macht für die Parteien den Löwenanteil an Einnahmen aus, in den meisten Fällen mehr als 70 Prozent. Im Schatten dieser offiziellen Kanäle etablierten sich noch problematischere Formen des Zugriffs der Parteien auf öffentliche Ressourcen, etwa die Verwendung von Personal in Ministerkabinetten für Parteizwecke, Inserateschaltungen öffentlicher Institutionen in parteinahen Medien oder die wohlwollende Behandlung durch staatliche Stellen im Austausch für Geldflüsse an parteinahe Vereine oder PR-Agenturen.

Nicht zuletzt aufgrund des Bekanntwerdens derlei korrupter Praktiken wurden Parteien und ihre Vertreter in jüngerer Vergangenheit zunehmend engerer staatlicher Regulierung unterworfen: Wahlkampfausgaben wurden begrenzt, Parteispenden massiv eingeschränkt, Berichtspflichten ausgeweitet, Transparenzgebote eingeführt, Nebenbeschäftigungen offengelegt. Und erst kürzlich hat die "Initiative Bessere Verwaltung" weitere Vorschläge präsentiert, die in dieselbe Kerbe schlagen, etwa Beschränkungen der Größe von Ministerkabinetten und des Volumens öffentlich vergebener Inserate. Für all diese Maßnahmen gibt es gute Gründe. Sie sind Antworten auf politisches Fehlverhalten und Ausdruck eines in Teilen hochverdienten Misstrauens gegenüber parteipolitischen Akteuren.

In der Gesamtschau all dieser Entwicklungen muss man dennoch mit Sorge diagnostizieren, wie sich die Rolle von Parteien als Mittler zwischen Gesellschaft und Staat verändert hat: Einer massiven gesellschaftlichen Entwurzelung (Mitgliederschwund, sinkende Identifikation) steht eine gestiegene finanzielle Abhängigkeit vom Staat (Parteienförderung) und eine in manchen Bereichen noch immer hohe Durchdringung des öffentlichen Sektors gegenüber (Postenbesetzungen) - gepaart mit einer stark zunehmenden staatlichen Regulierung der Parteien. Während die Bindung zwischen Parteien und Gesellschaft schwindet, nimmt die Verflechtung zwischen Staat und Parteien also eher zu. Parteien laufen so Gefahr, zu einer Art quasi-öffentlicher Infrastruktur zu werden, deren Hauptaufgabe es ist, Funktionen in staatlichen Institutionen zu übernehmen.

Will man dem gegensteuern, muss die staatliche Regulierung der Parteien die Zügel da und dort etwas lockerer lassen - und zudem Anreize setzen, die gesellschaftliche Verankerung der Parteien zu fördern. Nur zwei Beispiele seien hier genannt: Eine Obergrenze für individuelle Parteispenden ist durchaus argumentierbar. Warum die Gesamtsumme, die eine Partei aus Kleinspenden lukrieren kann, begrenzt sein muss, erschließt sich weniger leicht. Das Kultivieren einer großen Zahl an Kleinspendern würde die Abhängigkeit von staatlichen Förderungen reduzieren und die Balance Richtung gesellschaftlicher Verwurzelung verschieben. Zu diesem Zweck sind etwa in Deutschland Teile der staatlichen Parteienförderung sogar an die erzielten Mitgliedsbeiträge und Kleinspenden gekoppelt. Das explizite Ziel dabei ist es, die gesellschaftliche Verwurzelung der Parteien zu stärken. Es ist Zeit, auch in Österreich über Schritte in diese Richtung nachzudenken.