Zum Hauptinhalt springen

Ausbaufähiges Krisenmanagement

Von Helene Schuberth

Gastkommentare
Helene Schuberth ist Chefökonomin im ÖGB.
© Elisabeth Mandl

Österreich ist eines der Schlusslichter in der EU, wenn es um die Finanzierung von preisreduzierenden Maßnahmen geht.


Hohe Inflation und mehr noch das Sinken des Preisniveaus - also Deflation - führten historisch oft zur Verarmung breiter Teile der Bevölkerung und zu sozialen Verwerfungen. Sie waren und sind letztlich der Nährboden für den Aufstieg faschistischer Parteien - vor einem Jahrhundert, aber auch heute. Angesichts dieses historischen Wissens wäre es spätestens mit Beginn der kriegsbedingten Energiekrise die verantwortungsvolle wirtschaftspolitische Reaktion gewesen, Bevölkerung und Wirtschaft vor den dramatischen Preisausschlägen nach oben zu schützen. Aber auch aus ökonomischen Gründen wäre ein frühes Eingreifen in den Preismechanismus notwendig gewesen.

Energiepreise, die bereits ab dem Sommer 2021 stark angestiegen sind, gehören zu jenen Preisen, die systemisch relevant sind. Das sind Preise, wie für Strom, Gas und Öl, die am Beginn des Inflationsaufbaus stehen, die sich sukzessive auf andere Produktions- und Dienstleistungsbereiche übertragen und somit einen überproportionalen Einfluss auf den Konsumentenpreisindex haben.

Diese sektorale beziehungsweise netzwerkanalytische Sicht auf die Inflationsrate, die die Ökonomin Isabella Weber vor kurzem propagiert hat, unterscheidet sich wesentlich vom ökonomischen Mainstream, der die Steuerung der Inflationsrate ausschließlich Notenbanken zuschreibt. Ist ein Preisauftrieb aber zunächst primär in einem systemisch relevanten Bereich oder Sektor zu beobachten, sollte man diesen nicht durch Zinsanhebungen, sondern durch selektive strategische Preiskontrollen und durch Maßnahmen gegen profitgetriebene Inflation dämpfen.

Die Analogie zu den systemrelevanten Banken ist hier durchaus bewusst gewählt. Im Zuge der Finanzkrise wurden Instrumente entwickelt, die verhindern sollten, dass sich Risiken, die bei systemrelevanten Banken entstehen, auf andere Banken und auf das Finanzsystem übertragen können. Ähnlich bei den Preisen: Mit ähnlichen Instrumenten - auf europäischer und auf nationaler Ebene - hätte man früh die Wirkungskette des Inflationsaufbaus durchbrochen, etwa durch eine sofortige Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis, eine gemeinsame Einkaufsplattform für Gas und subventionierte Weitergabe an Kundinnen und Kunden, Energiepreisdeckel für Haushalte, Maßnahmen gegen die profitgetriebene Inflation, wie etwa das Durchbrechen der Miet-Preis-Spirale.

Das Fehlen dieser Eingriffe hat letztlich dazu geführt, dass der ursprüngliche Inflationsimpuls, der primär vom steigenden Gaspreis ausging, rasch in die Ökonomie kaskadieren konnte. Eine Studie des Centre of Economic Scenario Analysis and Research zeigt für Österreich, dass Energie direkt und indirekt zu beinahe zwei Drittel den Anstieg der Inflationsrate 2022 getrieben hat. Die Kehrseite davon war und ist die noch nie dagewesene Umverteilung von Haushalten zu den Energiekonzernen, die im Zuge einer bescheidenen Variante einer Übergewinnsteuer nur unzureichend abgeschöpft werden. Dies ist ein extremes Beispiel der profitgetriebenen Inflation, die wir aber in weiten Teilen der Wirtschaft beobachten, insbesondere bei Nahrungsmitteln und Mieten (Miet-Preis-Spirale).

Wichtige, aber für viele nicht ausreichende Überbrückung

Österreichs Bundesregierung lehnt im Unterschied zu anderen Ländern wie Spanien und Frankreich, welche die Inflationsrate deutlich reduzieren beziehungsweise den Inflationsauftrieb bremsen konnten, bis heute mit Verweis auf Empfehlungen ihrer ökonomischen Beraterinnen und Berater Eingriffe in den Preisbildungsmechanismus ab. Bei der Strompreisbremse zum Beispiel hat man penibel darauf geachtet, dass diese ja keinen Eingriff in den Marktmechanismus darstellt.

Im Unterschied zu einem Preisdeckel wird die Stromrechnung nur bis zu einem bestimmten Strompreis bezuschusst. Dies hat Konsequenzen - das Risiko von Preissteigerungen liegt bei den Konsumentinnen und Konsumenten, und Energieunternehmen haben den Anreiz, die Preise bis zur subventionierten Obergrenze anzuheben. Das Preissetzungsverhalten der Energieunternehmen wird zwar jetzt untersucht, die Ergebnisse sind aber erst im Laufe des Jahres zu erwarten - mittlerweile werden trotz sinkender Großhandelspreise für Energie die Tarife für Bestandskundinnen und -kunden angehoben. Ob das durch hohe Einkaufspreise gerechtfertigt ist, bleibt im Dunkeln.

Ökonomische Beraterinnen und Berater sowie Regierungsvertreterinnen und -vertreter betonen immer wieder, dass Österreich zu jenen EU-Ländern gehöre, die am meisten für Anti-Teuerungsmaßnahmen ausgegeben hätten. Man verstehe aber nicht, dass die Bevölkerung dies nicht ausreichend zu würdigen wisse. Tatsächlich gibt es aber wenig Phänomene, die man so gut erklären kann. Über die Größenordnung der Ausgaben und internationale Vergleiche lässt sich durchaus streiten, aber wesentlich ist: Österreich ist eines der Schlusslichter in der EU, wenn es um die Finanzierung von preisreduzierenden Maßnahmen geht.

Angesichts der hohen Reallohnverluste des vergangenen Jahres waren die Einmalmaßnahmen eine wichtige, aber für viele nicht ausreichende Überbrückung, für manche aber eine Überförderung. Die Diskussion um die Treffsicherheit der Maßnahmen ist sicherlich berechtigt, aber das Grundproblem ist doch, dass die Mehrfachbelastung insbesondere für jene, die gleichzeitig mieten und pendeln und mit Gas heizen müssen, manchmal in tausende Euro geht. Dies ist ein existenzielles Problem für arme Haushalte und insbesondere für Frauen, aber auch für die Mitte der Gesellschaft überaus belastend.

Maßnahmen waren teuer und wenig effektiv

Angesichts dieser Dimensionen helfen den Betroffenen weder die Einmalzahlungen noch die Valorisierung von Sozialleistungen; auch die guten Lohnabschlüsse können die Mehrfachbelastungen nur zum Teil ausgleichen. Die aufgewendeten budgetären Mittel hätten weitaus effektiver eingesetzt werden können, hätte man neben direkten Entlastungsmaßnahmen früh in den Preisbildungsmechanismus eingegriffen. Der Inflationsanstieg wäre begrenzt worden, und gleichzeitig wären die Menschen spürbar entlastet worden. Die Maßnahmen waren teuer und wenig effektiv.

Von John Maynard Keynes stammt die kontrovers diskutierte These, Ideen von Ökonomen seien wirkungsmächtiger als (Partikular-)Interessen. Die wirtschaftspolitische Reaktion der österreichischen Bundesregierung auf die Teuerungskrise ist ein Lehrbeispiel dafür, dass die von Keynes angesprochene Dichotomie von Interessen und Ideen so nicht immer existiert. Aus der Zeit gefallene ökonomische Paradigmen - wie das marktliberale Mantra von "Preise wirken lassen und (arme) Haushalte entlasten" - spielen ebenso eine Rolle wie das bedingungslose Streben nach Wahrung gigantischer Gewinne der Krisenprofiteure.

Es ist nicht zu spät. Es gibt noch immer zahlreiche Gelegenheiten, den Gegenbeweis anzutreten, wie etwa die Einführung eines Energiepreisdeckels für alle Energieträger, die Einrichtung einer Antiteuerungskommission zur Bekämpfung der profitgetriebenen Inflation, die Anhebung von Sozialleistungen über die Armutsgrenze hinaus, die Valorisierung des Arbeitslosengeldes oder das Aussetzen der anstehenden Mieterhöhungen, auch rückwirkend für 2022.