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Sicherheit statt Wohlfühl-Folklore

Von Andreas Kresbach

Gastkommentare

Die FPÖ hat das Thema Neutralität für sich gekapert. Keiner der Verantwortlichen traut sich, die heikle Diskussion über Österreichs künftige Sicherheitspolitik konstruktiv zu führen.


Dass eine Partei, die sich nicht wie alle demokratischen Parteien in Europa dazu bekennt, ausschließlich Russland für den Krieg in der Ukraine verantwortlich zu machen, deshalb auch nicht die EU-Sanktionen gegen den Aggressor Russland mitträgt und der Bevölkerung vorgaukeln kann, mit dem bedingungslosen Festhalten an der Neutralität allein die Sicherheit unseres Landes zu garantieren, in Umfragen an erster Stelle rangiert und die gesamte Politik damit in Geiselhaft hält, ist scheinbar nur in Österreich möglich.

Die bereits in mehreren Fällen belegte Russland-Freundlichkeit der Freiheitlichen wird vor allem in Europa als Problem gesehen: Als das EU-Parlament im Vorjahr Maßnahmen gegen die Einflussnahme Russlands in Europa forderte, wurde dabei auch der Freundschaftsvertrag der FPÖ mit der Partei des russischen Präsidenten Wladimir Putin kritisch angeführt. Auch wenn dieser mittlerweile ausgelaufen sein sollte, zeigen die FPÖ-Anträge im Nationalrat zur Aufhebung der Sanktionen klar, was diese Partei wirklich anstrebt. Folgerichtig wurde auch der Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Hohen Haus unmöglich gemacht. Ein solcher sei mit der Neutralität nicht vereinbar, lautete die Begründung.

Eine zeitgemäße Anpassung der Verteidigungspolitik wäre nötig

Seit die FPÖ vor allem aus innenpolitischem Kalkül das Thema Neutralität gekapert hat, wird damit die ganze Politik in Geiselhaft gehalten. Keiner der Verantwortlichen traut sich, die heikle Diskussion über Österreichs künftige Sicherheitspolitik konstruktiv zu führen. Doch die schon seit dem Ende des Kalten Krieges 1989, aber spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der Entfesselung eines Angriffskrieges am 24. Februar 2022 in Europa völlig veränderte Sicherheitslage erfordert eine zeitgemäße Anpassung der Verteidigungspolitik auch von neutralen Staaten wie Österreich in Richtung einer aktiven Beteiligung an einer gemeinsamen europäischen Verteidigung.

So könnte die im EU-Vertrag von Lissabon schon bestehende EU-Beistandspflicht, die neutralen Staaten die Form ihrer militärischen Beteiligung im Ernstfall aber noch selbst überlässt, im Hinblick auf den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands und eine EU-Verteidigungsunion auch zu einer Art kooperativer Neutralität mit voller Einbeziehung in militärische Aktionen (sieht man von Waffenlieferungen ab) weiterentwickelt werden - wenn dies nicht ohnedies einmal von der EU eingefordert wird. Denn für das beliebte Trittbrettfahren Österreichs wird das Verständnis einmal wohl aufhören. Ein solches militärisches Engagement wäre als EU-Mitgliedsstaat wohl eher mit der Neutralität vereinbar als eine Mitgliedschaft bei der Nato, wiewohl diese derzeit die militärisch einzig wirkungsvolle Schutzmacht ist.

Über diese Optionen sollte sachlich diskutiert werden. Ein mutloses Verschanzen hinter weltpolitischen Rahmenbedingungen aus längst vergangenen Zeiten, das mit dem Verweis auf die Popularität der Neutralität (was sonst?) und einem nationalistischen Populismus einer Russland-freundlichen Partei begründet wird, ist aber wohl zu vordergründig und zumindest fahrlässig. Eine populistische Verweigerung dieser höchst aktuellen Auseinandersetzung mag der in Österreich vorherrschenden Tendenz zum bequemen Festhalten am Status quo und zum trotzigen Sich-nicht-betroffen-Fühlen von der Weltpolitik sehr entgegenkommen, birgt aber im Grunde ein nationales Sicherheitsrisiko.

Angesichts der durch den Krieg in der Ukraine provozierten dramatischen Zeitenwende ist jedenfalls nicht mehr die Zeit für provinzielle Wohlfühl-Folklore, sondern vielmehr für eine neue sicherheitspolitische Doktrin. Es mag nicht überraschen, dass eine Partei, die den EU-Beitritt Österreichs in Frage stellt, auch die militärische Sicherheit des Landes leichtfertig ihrem Populismus unterordnet. Als Anwalt einer ausländischen und kriegsführenden Macht zu agieren, hat aber noch einmal eine andere Dimension.

Extremistischen öffentlichen Äußerungen entgegentreten

Da ist noch gar nicht von den charakterlichen Abgründen die Rede, die sich auf Seiten einiger FPÖ-Protagonisten bei der menschenverachtenden Beurteilung von Migration, gelingender Integration (". . . dann wäre Wien noch Wien") oder der Hilfe für die Opfer von Naturkatastrophen wie dem Beben in der Türkei und Syrien immer wieder auftun. Aber auch diesem vollkommen faktenbefreiten Schüren von Emotionen wird im ansonsten humanitär durchaus engagierten "Nachbar in Not"-Musterland kaum energisch widersprochen, um eine derartige Verhetzung mit sachlichen Argumenten wirkungsvoll zu entzaubern.

Gerade die politische Mitte wäre aufgerufen, solchen extremistischen öffentlichen Äußerungen entgegenzutreten, indem etwa auf viele Beispiele gelungener Integration aufmerksam gemacht wird oder offensiv erklärt wird, dass Österreich, wie ganz Westeuropa, natürlich ein Einwanderungsland ist, diese Entwicklung aber rechtskonform und für alle Seiten den Wohlstand steigernd zu gestalten ist. Kein halbwegs vernünftiger Mensch könnte einem solchen Diskurs widersprechen. Alles andere ist die Kapitulation vor einer aggressiven Minderheit und ihren Verschwörungstheorien. Gegen diese von gewissen Kräften kulturpessimistisch betriebene Spaltung der Gesellschaft muss die politische Mitte eine attraktive und glaubwürdige Zukunftsperspektive anbieten. Das nennt man wehrhafte Demokratie.

Abgesehen von Fragen der Sicherheit und der Migration steht die größte Herausforderung mit der kreativen Bewältigung des Klimawandels ja noch bevor. Parteien, die sich als staatstragend verstehen, müssen für eine solche sachliche Auseinandersetzung aber sichtbar den Willen und die Kompetenz aufbringen. Das ist, siehe die Umfragen, offensichtlich noch nicht ganz der Fall. Deshalb ist die mutige Ankündigung des Bundespräsidenten, den FPÖ-Führer auch im Fall eines Wahlsieges nicht mit der Regierungsbildung zu betrauen, nicht hoch genug einzuschätzen. Eine Stimme für diese Krawalltruppe ist eine verlorene Stimme. Diese Position wird jeden Tag aufs Neue bestätigt.