Zum Hauptinhalt springen

Sinn und Unsinn öffentlicher Vergaben

Von Susanne Wixforth und Julia Vazny-König

Gastkommentare
Julia Vazny-König ist Juristin und seit 1998 in der Abteilung Rechtsschutz der AK Wien mit der Vertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor Gericht betraut. Sie begutachtet öffentliche Auftragsvergabe aus der Warte derer, die bei Auftragnehmern der öffentlichen Hand beschäftigt sind.
© Christian Fischer

Die staatliche Beschaffung ist eine wichtige Quelle der Nachfrage, insbesondere in Krisen. Umso wichtiger ist Transparenz.


Jedes Jahr geben die Behörden in der EU rund 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für öffentliche Aufträge aus. Dies entspricht mehr als 1,9 Billionen Euro. In Österreich beläuft sich das durchschnittliche Volumen auf 67 Milliarden Euro pro Jahr und macht damit etwa 18 Prozent des österreichischen BIP aus. Die staatliche Beschaffung ist also eine wichtige Quelle der Nachfrage, insbesondere in Krisenzeiten.

Da Steuergeld zum Einsatz kommt, muss die Mittelverwendung einerseits effizient und transparent erfolgen, andererseits muss der Staat eine Vorbildrolle einnehmen. Dies ist aber nur möglich, wenn entsprechende Kontroll- und Haftungsmechanismen bestehen - also fairer Wettbewerb bei den Bietern statt Lohndumping und Subunternehmerketten. Eine kurze Bestandsaufnahme zeigt: Es gibt Handlungsbedarf.

Grundidee des Vergaberechts ist es, die öffentliche Beschaffung transparent und diskriminierungsfrei zu organisieren, damit möglichst viele Bieter im fairen Wettbewerb am großen Beschaffungsmarkt teilnehmen können. Deshalb muss gerade die öffentliche Beschaffung die Nachhaltigkeitsziele ins Zentrum stellen - nicht nur bezogen auf Klima- und Umweltschutz. Vor allem muss sie für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und faire Entlohnung sorgen. Dabei kann nicht allein der Angebotspreis, sondern muss vor allem die Qualität des Angebots entscheidend sein. In Österreich legt der Aktionsplan für nachhaltige Beschaffung Qualitätskriterien fest: Neben ökologische Kriterien sollen Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit und gerechte Entlohnung durch Sicherstellung fairen Wettbewerbs sowie Verhinderung von Dumpingpreisen erreicht werden.

Betroffenheit der Beschäftigten

Die Unternehmungsberatung EFS Consulting hat jüngst in einer Studie festgestellt, dass 80 Prozent der öffentlichen Aufträge an nur zehn Auftragnehmer ergangen sind. Die genannten Unternehmen sind keine Unbekannten. Der Baukonzern Strabag zählt zum engeren Kreis. Die Studienautoren monieren, dass damit die Klein- und Mittelbetriebe (KMU) unter die Räder kommen. Sie sind de facto von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, wodurch eines der Ziele des Vergaberechts, nämlich fairer Wettbewerb zwischen den Bietern, konterkariert wird. Daran schließt sich die Vermutung, dass eine derartige Verengung des Bietermarktes die Staatsausgaben erhöht. Das ist aber nicht das einzige Problem.

Die Arbeiterkammer Wien wird mit der Vergabethematik immer dann konfrontiert, wenn Beschäftigte vorsprechen, deren Arbeitgeber den Lohn nicht bezahlen. Meist betrifft das die Baubranche. Anhand der Adresse der betroffenen Baustellen lässt sich feststellen, ob hier eine öffentlicher Auftragsvergabe am Beginn der Misere steht. Große Schilder auf den Baustellen verraten den Beschäftigten meist, wer als Generalunternehmer mit der Errichtung beauftragt worden ist. Häufig sind es große Baukonzerne.

Das verwundert nicht: Laut Studie der EFS Consulting lukrierte beispielsweise die Strabag zwischen 2020 und 2022 rund 1,3 Milliarden Euro bei öffentlichen Ausschreibungen. Doch Arbeitgeber der Beschäftigten ist selten ein großer Baukonzern. Vielmehr handelt sich um Firmen mit klingenden Namen wie ABC Bau oder CDE Bau. Denn die Beschäftigten sind bei Subunternehmen angestellt. Das Vergaberecht, das an sich sehr strenge Anforderungen an die Ausschreibung öffentlicher Aufträge stellt, ist im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Anbieter sehr liberal. Es erlaubt den Auftragnehmern, sich einer unbeschränkten Anzahl von Subunternehmern zu bedienen. Eine Beschränkung, so heißt es, würde den Wettbewerb verzerren.

Das Problem fängt damit an, dass die von großen Bauherren beauftragten Firmen ihrerseits Aufträge auslagern. Wir sprechen dann von Subsubunternehmen. Schlimm wird es allerdings, wenn auch diese Firmen Leistungen vergeben - also an Subsubsubunternehmen. Die Kette ist nach unten offen. Leider ist es so, dass die Arbeitgeber der betroffenen Beschäftigten meist ziemlich weit unten in der Subunternehmerkette rangieren. Diese Kettenkonstrukte werden ausschließlich dafür geschaffen, im Karussell der öffentlichen Vergabe möglichst billig mitbieten zu können. Die systematische Unterentlohnung ist von vornherein einkalkuliert. Es liegt der Verdacht nahe, dass die Kalkulation der einzelnen Akteure vom kleinsten Subunternehmer bis zum Generalunternehmer darauf abzielt, dass jene, die hart arbeiten, nicht von den Auftragnehmern, sondern von der Öffentlichkeit bezahlt werden. Warum?

Niedriger Preis - Sozialisierung der Löhne

Die AK Wien, zu der die gelackmeierten Beschäftigten in ihrer Not kommen, fordert bei deren Arbeitgebern die offenen Löhne und Gehälter ein. Sie muss allerdings sehr oft feststellen, dass diese Glieder der Kette entweder das Land verlassen haben oder zahlungsunfähig sind. Das österreichische Rechtssystem hat für diesen Fall vorgesorgt: Der Insolvenz-Entgelt-Fonds finanziert aus den Zuschlägen zur Arbeitslosenversicherung, springt ein und bezahlt die offenen Forderungen.

Das Vergaberecht, das ursprünglich dafür geschaffen wurde, den Wettbewerb zu fördern, ist mit der Zeit derart komplex geworden, dass die strengen Anforderungen nur noch sehr wenige große Unternehmen (die Studie spricht von zehn) erfüllen können. Das führt aber zum Gegenteil der ursprünglichen Idee, nämlich zu einer Konzentration der Bieter, also zu einer Verengung des Anbieterkreises, wie die EFS-Studie zeigt.

Es liegt der Verdacht nahe, dass die öffentliche Hand und damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aufgrund des eingeschränkten Wettbewerbs zu viel bezahlen, das Geld aber nicht bei den Beschäftigten ankommt, sondern auf dem Weg in der Kette der Subunternehmer versandet beziehungsweise faire Löhne gar nicht erst eingeplant werden.

Systemreform für fairen Wettbewerb

Aus Sicht der AK Wien wird es Zeit, dieses System zu überdenken und strenge Regeln dort aufzustellen, wo eine unkontrollierte Weitergabe der Aufträge stattfindet. Die Aufträge müssen so ausgeschrieben werden, dass Firmen die Kriterien erfüllen können, ohne diese an die vierte und fünfte Kette an Subunternehmer vergeben zu müssen. Das Vergaberecht bietet schon jetzt die Möglichkeit, sich zu Bietergemeinschaften zusammenzuschließen. Stattdessen werden aber lieber lange Subunternehmerketten in Kauf genommen und auf Kontrolle verzichtet.

Gleichzeitig ist es erforderlich, dass die öffentliche Hand auch nach erfolgter Vergabe ein Auge auf die ausführenden Unternehmen hat. Darunter ist die Forderung zu verstehen, dass Baustellen überprüft werden: Welche Firma ist an welchem Ort tatsächlich tätig, wurde sie im Rahmen der Ausschreibung benannt beziehungsweise ihre Leistungsfähigkeit überprüft? Außerdem muss die Weitergabe an Subunternehmer ausdrücklich vom Auftraggeber genehmigt werden, anstatt eine Zustimmungsfiktion zuzulassen, wie es derzeit der Fall ist.

Schließlich ist die Schwellenwerte-Verordnung eine gute Lösung, um KMU unbürokratisch mit Kleingewerken zu beauftragen und damit den CO2-Fußabdruck zu verbessern, wie es der erwähnte Aktionsplan für nachhaltige Beschaffung vorsieht. Durch Regionalität und Abrufbarkeit von Leistungen kann im Gegensatz zu europaweiten Ausschreibungen eine negative Umweltbilanz vermieden werden. Die Detailverliebtheit des europäischen Gesetzgebers - immerhin umfassen die EU-Vergaberichtlinien mehr als 300 Seiten - sowie des nationalen Gesetzgebers mit 382 Paragrafen verfehlt die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen. Das Vergaberecht wird damit zur Geheimwissenschaft.

Sie sind anderer Meinung?

Diskutieren Sie mit: Online unter www.wienerzeitung.at/recht oder unter recht@wienerzeitung.at