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Die Akademisierung der Gesundheitsberufe

Von Ernest G. Pichlbauer

Gastkommentare
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Oder: "Für was brauchen wir das? Das hat es ja noch nie gegeben."


Wir schreiben das Jahr 1900: Der Garnisonsarzt aus dem örtlichen und seit Jahrhunderten bestehenden Spital geht ins fußläufige Lokal am Braunauer Stadtplatz. Er ist eigentlich Militärarzt, aber das Spital wurde nun an einen Orden übergeben, und so ist er jetzt Chirurg. Das liegt in der Familie, seit sein Urgroßvater an der Chirurgenschule in München ausgebildet wurde, waren alle Chirurgen, wobei allerdings erst sein Großvater dafür studierte.

Im Lokal trifft er, wie erwartet, seinen langjährigen Freund, einen gestandenen Landarzt. Und als das zweite Bier getrunken ward, fragt der Chirurg, ob es denn wirklich nötig sei, dass Landärzte Matura und Studium brauchen. Er versteht nicht genau warum. Der Landarzt pflichtet ihm bei. Diese Akademisierung der Landärzte sei völlig unnötig. Er habe für seinen Job sowas noch nie gebraucht.

Zeitsprung: Im Jahr 1970 schließt ein Landarzt seine Ordination, um sich mit einem Freund im Stadtcafé zu treffen. Früher war das ein Bierlokal, in dem sein Ururgroßvater schon saß. Der war auch schon Landarzt, hat das aber nicht studiert. Und als die beiden nach dem Verlängerten auf Cola-Rot umstiegen, fragt der Landarzt seinen Freund, ob es denn wirklich nötig sei, dass Zahnärzte Matura und Studium brauchen. Er versteht nicht genau warum. Sein Freund, der Dentist, versteht diese Akademisierung der Zahnheilkunde auch nicht. Er habe für seinen Job sowas noch nie gebraucht.

Zeitsprung: Im Jahr 2025 setzt sich die Urururgroßenkelin des Garnisonsarztes neben ihren Mann, einen Dr.med.univ., ins Auto. Sie wollen alte Freunde treffen. Da in den 1990ern die beiden Familien herausgezogen sind, trifft man sich nun regelmäßig in der Pommerschen Schlosstaverne. Ihren Mann lernte sie kennen, als er den Turnus im Braunauer Spital machte. Danach wurde er Gemeindearzt mit allen Kassen, sie blieb im Spital und ist nun Oberschwester. Bei den Freunden, die sie treffen, handelt es sich um die Familie des eingesessenen Zahnarztes, der wegen einer Rechtsänderung nun sogar zwei Doktortitel trägt. Anders als sein Vater - der hatte nicht einmal studiert. Und wie Sie alle da so sitzen, der Hauptgang abserviert und die dritte Flasche Zweigelt zum Atmen geöffnet wird, stellt der Zahnarzt die Frage, ob es denn wirklich nötig sei, dass Krankenschwestern Matura und Studium brauchen. Nach kurzem Stöhnen erklärt die Oberschwester, diese Akademisierung der Pflege sei völlig sinnlos. Sowas habe sie in ihrem Job noch nie gebraucht. Ihr Mann pflichtet ihr bei.

Als alle in ihren Autos heimfahren, sicher zu betrunken für normale Bürger, aber für die regionale Prominenz noch völlig im Rahmen, erhalten beide Anrufe der Kinder: Der Sohn des Zahnarztes hat gerade die letzte Prüfung seines Masters in Advanced Nursing Practice geschafft. Die Tochter des Landarztes schickt vorab per WhatsApp den letzten Schein für ihre Ausbildung zur Fachärztin für Orthopädie und Traumatologie. Jetzt heißt es lernen für die Facharztprüfung, und sie will wissen, ob sie für einen Monat wieder zu Hause einziehen kann.