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Arbeitsmarkt: Mangel, Knappheit oder andere Gründe?

Von Ulrike Famira-Mühlberger

Gastkommentare
Ulrike Famira-Mühlberger ist stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts.

In den nächsten Jahren werden große Alterskohorten aus dem Jobmarkt ausscheiden und kleinere Kohorten nachrücken.


Häufig wird ein punktueller Fachkräftemangel mit einem generellen Arbeitskräftemangel gleichgesetzt. Dies entspricht jedoch nicht der Realität. Ein Mangel im ökonomischen Sinne liegt vor, wenn die nachgefragte Menge größer ist als die angebotene Menge. Mögliche Ursachen für einen Nachfrageüberhang auf dem Arbeitsmarkt könnten sein, dass die Konjunktur nach der Covid-19-Pandemie bei vielen Unternehmen gleichzeitig stark angezogen hat.

Zudem dürften die während der Pandemie gewährten Unternehmenshilfen zu einem Strukturerhalt geführt haben, sodass weniger Unternehmen als üblich aus dem Markt ausgeschieden sind. Auf der anderen Seite könnte eine Angebotslücke entstanden sein, da die Menschen weniger Arbeitszeit angeboten haben ("Great Resignation"-Hypothese). Von einer Knappheit - im Gegensatz zu einem Mangel - spricht man, wenn die Zahlungsbereitschaft für die gewünschte Menge an Arbeit unter dem Gleichgewichtslohn liegt. Die Folge sollte eine Erhöhung der Zahlungsbereitschaft und/oder eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen sein. Was sehen wir in den Daten? Wir beobachten, dass die Reallohnentwicklung in den vergangenen 20 Jahren insgesamt leicht negativ war. Ein gesamtwirtschaftlicher Arbeitskräftemangel kann daher aus ökonomischer Sicht nicht argumentiert werden. Die Ursachen des Arbeitskräftemangels dürften über die Branchen hinweg sehr heterogen sein. Von einem echten Fachkräftemangel kann in einigen Regionen wohl in bestimmten technischen Berufen gesprochen werden. Die Personalknappheit in der Pflege beispielsweise hat wohl viel mit den Arbeitsbedingungen und der Entlohnung zu tun. Interessant ist, dass wir seit 2018 eine Abweichung der Lehrlingsentschädigungen von den Kollektivlöhnen beobachten.

Dies zeigt, dass eine steigende Nachfrage nach Lehrlingen zu steigenden Preisen (das heißt: Lehrlingsentschädigung) führt und ist ein Indiz für einen Fachkräftemangel. Auszubildende sind die Fachkräfte der nahen Zukunft. Aus der Entwicklung der Erwerbstätigkeit - die während der Pandemie nur einen kurzen Einbruch erlebte und heute höher ist als vor der Pandemie - lässt jedenfalls nicht auf eine gesamtwirtschaftliche Angebotslücke schließen. Richtig ist allerdings, dass in den nächsten Jahren große Alterskohorten aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und kleinere Kohorten nachrücken. Die Jüngeren haben aber aufgrund des gestiegenen Bildungsniveaus eine höhere Erwerbsneigung.

Was sind die Ansatzpunkte für eine höhere Erwerbsbeteiligung? Verringerung des geschlechtsspezifischen Beschäftigungsgefälles durch faire Karrierechancen und den Ausbau der Kinderbetreuung.

Schaffung von Anreizen für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben.

Präventionsmaßnahmen in den Bereichen Gesundheit (auch in Betrieben), altersgerechte Arbeitsplätze und Bildung (Förderung im Elementarbereich, Bildungsreform zur Förderung von Kindern aus bildungsfernen Familien).

Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch stärkere Beteiligung von Männern an unbezahlter Arbeit.

Intelligente und integrative Integrationspolitik und selektive Zuwanderung.

So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.