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Neutrale Möglichkeiten

Von Ralph Janik

Gastkommentare
Ralph Janik forscht an der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien zu Völkerrecht und Menschenrechten. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Umwelt und Strafe: Überlegungen zum Ökozid" im Edition Konturen Verlag.
© privat

Wie sich auch oder gerade neutrale Länder bei Kriegen einbringen können.


Österreich und die Neutralität - eine unendliche Geschichte. Anzweifeln wollen sie nur wenige, abschaffen kaum jemand. Ihre "immerwährende" Natur ist Programm, daran hat auch der russische Angriff auf die Ukraine nichts geändert. Ganz im Gegenteil scheinen die vergangenen Monate den neutralen Status und das damit einhergehende Motto "Nur nicht auffallen, dann passiert uns nichts" weiter verfestigt zu haben. Die Politik, genau genommen die Regierung, hat damit zwei Optionen: viel reden um nichts, also Neutralität als Ausrede für Passivität, oder aber "aktive Neutralitätspolitik".

Der Kanzler hat sich, jedenfalls der Rhetorik nach, für Zweiteres entschieden. In der Tat tut sich Österreich mit großzügiger humanitärer Unterstützung hervor. Umgekehrt mag der Kritiker einwenden, dass wir gleichzeitig weiterhin ungebremst russisches Gas beziehen und bezahlen oder Raiffeisen zur laut Reuters wichtigsten ausländischen Bank in Russland geworden ist. Neutral? Mitnichten. Beiden Kriegsparteien Geld geben, der einen mit Gegenleistung, der anderen ohne, ist freilich weniger Ausdruck von Neutralität als von außenpolitischer Hilflosigkeit. Das geht besser, da geht anderes, da geht mehr.

So gibt es neben der nichtssagenden Pauschalforderung, als Verhandlungsort oder gar als Vermittler aufzutreten (wie und wozu, wenn Russland nicht verhandeln will?), zwei weniger bekannte Optionen: Erstens sehen die vier Genfer Konventionen ausdrücklich die Möglichkeit vor, als Schutzmacht tätig zu werden, die außerdem "Staatsangehörige anderer neutraler Mächte" bestellen können, um die Einhaltung der Regeln des Krieges zu überwachen. Dabei spielt die Neutralität eine Schlüsselrolle, stärkt sie doch die Glaubwürdigkeit der Beobachtungen beziehungsweise des Beobachters. In Zeiten der Informationskriegsführung geht es ja genau darum, dass Russland die massiven Vorwürfe bezüglich Kriegsverbrechen eben nicht einfach so als "westliche Propaganda" abtun können soll.

Zweitens können Neutrale seit jeher Kriegsgefangene aufnehmen, siehe etwa das V. Haager Abkommen von 1907. Die Schweiz etwa, bekanntermaßen Österreichs Vorbild in Sachen Neutralität, beherbergte während des Ersten Weltkriegs 68.000 verwundete britische, französische und deutsche Soldaten zu Genesungszwecken. Auch im Zweiten Weltkrieg gab es in der Schweiz (aufgrund der dortigen Zustände berüchtigte, aber das ist eine andere Geschichte) Gefangenenlager, in Summe wurden damals in neutralen Ländern mehr als 100.000 Soldaten festgehalten - weswegen in die dritte Genfer Konvention vom 12. August 1949 im Artikel 4 B 2 eine neue und umfassende Bestimmung zur Behandlung von Kriegsgefangenen aufgenommen wurde.

Alles wenig realistisch, keine Frage. Aber das ist letztlich eine Momentaufnahme. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, wie lange dieser Krieg noch dauern und wohin er noch führen wird. Österreich hat bereits verletzte ukrainische Zivilisten aufgenommen, wofür sich Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner im Nationalrat gestreamten Rede vom 29. März auch bedankt hat. Von da weg ist es gar kein so großer Schritt, auch (verwundete oder erkrankte) Soldaten und Kriegsgefangene aufzunehmen.