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Verpasst die Öl- und Gasindustrie den nötigen Wandel?

Von Peter De Coensel

Gastkommentare

Die Versorger spielen eine Vorreiterrolle bei der Energiewende.


Die vergangenen Jahre haben den großen Öl- und Gaskonzernen überdurchschnittliche Gewinne beschert. Deren Entschlossenheit bei der Bekämpfung des Klimawandels war dagegen zögerlich. Im vergangenen Jahr investierte die Branche insgesamt nur 40 Prozent ihres operativen Cashflows. In den Jahren 2012 bis 2016 waren es hingegen 80 bis 100 Prozent. Von 2018 bis 2022 haben die sechs großen europäischen Öl- und Gasunternehmen rund 240 Milliarden US-Dollar an ihre Aktionäre ausgeschüttet. Die Gesamtinvestitionen sind gegenüber 2012/2013 um fast die Hälfte zurückgegangen. Zwischen 7,5 und 25 Prozent davon wurden in kohlenstoffarme Lösungen wie Bioenergie und Biokraftstoffe, Ladestationen für Elektrofahrzeuge, erneuerbare Energien, Wasserstoff oder Kohlenstoffabscheidung und -speicherung investiert. In den kommenden drei bis fünf Jahren sollte dieser Anteil auf 25 bis 45 Prozent bis steigen.

Beim Energie-Trilemma zwischen Zuverlässigkeit, Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit konzentrieren sich die Öl- und Gaskonzerne derzeit auf die beiden ersten Punkte und nutzen diese als schlagende Argumente für die weitere Ausbeutung vorhandener und die Erschließung neuer Reserven. Die Verbraucher werden hier eine Rolle spielen. Ihre Bereitschaft zur Umstellung auf nicht-fossile Energieträger und zur sparsamen Energienutzung ist ein Katalysator für Veränderungen bei den Anbietern. Die Risiken aus dem Klimawandel werden immer schwieriger zu bewerten und abzumildern sein. Ein glaubwürdiger, integrierter Ansatz mit positiven langfristigen Auswirkungen sollte nachhaltige Lösungen einbeziehen.

Im Gegensatz zum Öl- und Gassektor wachsen bei den Energieversorgern die Investitionen fast synchron mit den Erträgen. Und fast der gesamte Cashflow fließt in Investments für erneuerbare Energien und Netze. Die Versorger spielen eine Vorreiterrolle bei der Energiewende. Der Sektor investiert nicht mehr in Kohlekraftwerke und hat den Bau von Gaskraftwerken auf ein Minimum reduziert. Er hat ein hohes Maß an Übereinstimmung mit der EU-Taxonomie erreicht. Dies sendet eine wichtige Botschaft an den Öl- und Gassektor. Der Übergang ist Strategie. Aktionärsaktivismus gehört notwendigerweise dazu, denn die Wissenschaft ist klar und unmissverständlich. Die immer noch steigenden Treibhausgasemissionen müssen kurzfristig zurückgehen. Glaubwürdige Dekarbonisierungsstrategien müssen sich durchsetzen, auch bei der Stromerzeugung, und damit eine Verringerung fossiler Brennstoffe sowie eine Beschleunigung der Elektrifizierung über alle Sektoren hinweg. Die Aktivitäten der Ölmultis sind für knapp 10 Prozent aller vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Doch sie produzieren die Brennstoffe, die etwa ein Drittel der weltweiten Emissionen (außerhalb der Öl- und Gasindustrie) verursachen. Aktionäre sollten daher auf eine sinnvolle Klimapolitik und Pläne zur Emissionsreduzierung bei allen großen Ölkonzernen drängen.

Verpasst die Öl- und Gasindustrie den Wandel? Wir glauben nicht. Für ihren Erfolg war die Wissenschaft die Hauptantriebskraft. Lassen wir sie erneut zum Motor werden, der den fossilen Sektor transformiert und ein innovatives Portfolio für neue Erfolge schafft.