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Schaden macht dumm

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Europa ignoriert eine massive Gefährdung seiner militärischen Sicherheit souverän.


Europas politische Eliten haben in den vergangenen Jahrzehnten ein erstaunliches Talent darin entwickelt, drohende Gefahren souverän zu ignorieren, wenn deren Abwehr viel Geld kosten würde, das dann zur Bestechung der Wähler durch Ausschütten von Wahlzuckerln fehlt. Deutschlands - und Österreichs - Abhängigkeit von russischem Gas war so ein Fall. Von Warschau bis Washington wurde Europa eindringlich vor dieser Gefahr gewarnt - doch das billige Russen-Gas ermöglichte einen Wohlstand, der sonst nicht möglich gewesen wäre.

Daraus könnte man lernen. Muss man aber offenbar nicht, wie Europas Reaktionen auf den nächsten, vielleicht noch viel größeren Problembären gerade eindrucksvoll zeigt. Denn im November 2024 wählen die USA ihren nächsten Präsidenten. Das Ergebnis ist naturgemäß völlig offen. Aber durchaus möglich ist, dass entweder Donald Trump oder ein anderer republikanischer Kandidat, etwa Ronald DeSantis, Nachfolger von Joe Biden wird. Und das könnte für Europa stürmische Auswirkungen haben, gegen die jene des Ukraine-Krieges nur ein eher harmloser kalter Luftzug sind. Denn immer mehr Republikaner von Trump abwärts, wollen den militärischen Fokus der USA auf den herannahenden Konflikt mit China legen und Europa mehr oder weniger sich selbst überlassen. "Während die USA viele lebenswichtige nationale Interessen haben (...), gehört der Streit zwischen der Ukraine und Russland nicht dazu", formulierte es etwa DeSantis, für den der Schutz europäischer Grenzen kein primäres nationales Interesse der USA ist. Im Grunde steht da die Nato zur Disposition.

Soll also niemand sagen, Europa sei nicht gewarnt gewesen, so wie seinerzeit beim Russen-Gas. "Ein Krieg um Taiwan ist sehr wahrscheinlich", meint etwa der frühere Pentagon-Berater Elbridge Colby, "Europa wird da nicht viel zählen. Was zählen wird, ist altmodische militärische Macht in Südostasien. Wir sind nicht mehr das schützende Arsenal der Demokratien." Noch deutlicher geht es wirklich nicht. Dass die USA, mit wenigen Ausnahmen wie Großbritannien, keine Freunde haben, sondern Interessen, mussten zuletzt die Gegner der Taliban in Afghanistan eher schmerzvoll lernen.

Für Europa kann schon allein die schiere Möglichkeit, bald ohne den militärischen Schutz der USA dazustehen, eigentlich nur eine einzige sinnvolle Konsequenz haben: möglichst rasch und möglichst massiv selbst für militärische Sicherheit zu sorgen. Und zwar einschließlich einer angemessenen nuklearen Abschreckung, die derzeit ja nur in minimalistischem Rahmen Frankreich bieten kann - ob zugunsten der gesamten EU, ist übrigens offen. Auch über deutsche Nuklearwaffen wird da zu sprechen sein.

Das würde aber auch bedeuten, massiv Finanzmittel umzuschichten, weg vom hypertrophierenden Sozialstaat, dem größten Ausgabenblock, hin zu Ausgaben fürs Militär. Und zwar schnell und heftig, anders wird das nicht gehen. Doch das wird, weil extrem unpopulär, vermutlich nicht geschehen. Und das wird, wenn wir Pech haben, viel schlimmere Konsequenzen haben als bloß ein paar fehlende Kubikmeter Erdgas.

Aber aus Schaden wird man ja bekanntlich dumm.