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Angriff auf die Villa

Von Barbro Brand

Gastkommentare

Man ist jung, lustig und feiert. Und plötzlich befindet man sich in den Nachrichten.


Ich bin keine Kämpferin. Ich bin Studentin, Kindermädchen, (Möchtegern-)Filmemacherin, und wollte nur meinen 22. Geburtstag in meinem Lieblingslokal feiern. Plötzlich aber habe ich Kämpferin werden müssen, sodass dieses Lokal an meinem Geburtstag überhaupt noch steht. Nur weil mein Lieblingslokal zufälligerweise die Villa Vida ist.

Sie haben wahrscheinlich Bilder von diesem einen Sonntag schon gesehen. Ich will Ihnen mit diesem Text einen Einblick geben, wie es ist, als queere Person in Wien zu leben.

Sonntag, 16. April 2023 hätte nur irgendein Tag sein sollen, an dem nur eine der vielen Veranstaltungen, die in der Villa Vida stattfinden, stattfinden sollte: eine Kinderbuchlesung.

In der vorlaufenden Woche ist aber alles plötzlich eskaliert. Nur, weil dieses Kinderbuch von einer Kunstfigur vorgelesen werden sollte, die ein Mann als Frau verkleidet war. (Eine Art Kunstfigur, die eigentlich österreichische Tradition ist; schauen Sie sich mal einen Peter Alexander Film an.) Das Ziel solcher Lesungen ist nicht, Kinder schwul und trans zu machen. Das Ziel ist, Kindern zu zeigen, dass man genau so sein kann, wie man ist, sodass sie nicht so leben müssen, wie ich Ihnen nun zeigen möchte, wir jetzt leben.

Jeden Tag immer mehr die Drohungen. Es war schwierig, sich aufs Studieren zu konzentrieren, wenn die Freundinnen am Handy Ängste über ihre Sicherheit besprachen. Jeden Tag, als ich die Villa Vida verließ, nach wieder einem schönen Abend, umarmte ich die Leute zum Abschied, und wir sagten: "Wir sehen uns Sonntag". Unausgesprochen war, dass wir uns, um dieses Lokal gegen Rechtsextreme zu schützen, sehen würden.

Am Freitag feierten wir in der Villa Vida der Geburtstag einer Freundin. Eine andere Freundin hat ihr ein Badnerbahn-nach-Baden Plüschen geschenkt und wir lachten wie verrückt darüber. Als ich danach bezahlt habe, hat mich die Kellnerin auf die Seite gezogen und mich gebeten, am Sonntag beim Sicherheitsdienst für die Vlilla mitzumachen. So ist das doppelschichtige Leben eines/r gegenwärtigen queeren Wiener*in.

Woher kommt dieser Hass?

Am Samstag konnte ich an nichts anderes denken, als dass mein kleines Lieblingslokal plötzlich attackiert werden würde, nur weil manche Leute uns so sehr hassen, dass sie alles tun würden, damit wir aufhören zu existieren. Ich saß am Boden bei meiner Oma zuhause und beklagte den Wahnsinn dieser Situation. Wir wollen doch nur unser Leben leben und plötzlich finden wir uns in einer Art Krieg wieder.

"Ihr werdet immer anders sein," seufzte meine Oma, "ihr werdet immer ausgegrenzt werden."

Moa Lyth. Ich bin keine Kämpferin. Ich bin Studentin, Kindermädchen, (Möchtegern-)Filmemacherin, und wollte nur meinen 22. Geburtstag in meinem Lieblingslokal feiern. 
© privat

Sie erzählte von allem, was sie in den Nachrichten gesehen hatte, wogegen sich die Türkis Rosa Lila Villa schon wehren musste. Es hat sich seit der Zeit meiner Oma nichts geändert, dachte ich mir.

Sonntag Morgen musste ich um 6 aufstehen. Wir sollten so früh wie möglich dort sein, um vor den Rechtsextremen dort zu sein und über den Hintereingang in die Villa kommen, sodass wir am Weg hin nicht attackiert werden würden. Die Straßen wimmelten schon von Polizei, die bereits Gitterabsperrungen errichtet hat. Mein geliebtes Lokal hat sich in eine Kampfzone verwandelt.

Ich war nie Teil der Gegendemo, die dann in den Nachrichten zu sehen war, weil ich den ganzen Vormittag in den Straßen hinter der Villa war - dort haben wir "Demos" angemeldet, um diese Straßen für uns zu reklamieren, weil die Rechtsextremen gedroht haben, die Villa zu umkreisen. Mehrere von ihnen haben ja dann später tatsächlich versucht, zu uns durchzudringen, um die "Frühsexualisierung von Kindern" zu verhindern.

Ich sag nur, meiner Meinung nach, ist Geschlechterrollen Kleinkindern aufzudrängen mehr Frühsexualisierung, als ihnen ein Märchenbuch vorzulesen.

Unglaublich viele verschiedene Leute, Organisationen und Freiwillige sind gekommen, um uns zu unterstützen, sodass wir die Familien bei bestimmten Treffpunkten abzuholen und sie durch hintere Wege sicher zur Lesung bringen.

Mein Herz zerbrach hundert mal

Sicher, und fröhlich. So sollte es sein. Seifenblasen, eine nette Atmosphäre, damit die Kinder nicht von dem ganzen Chaos erschreckt werden. Ein Kind hat, ganz erfreut, auf eines der Polizeiautos gedeutet, genauso wie mein Kind, wenn ich ihn - ich arbeite als Kinderbetreuerin - vom Kindergarten abhole. Der junge Bursche hatte keine Ahnung davon, was für eine Angst die Polizeiautos uns Erwachsenen machten - denn wenn die Polizei vor der Türe steht, dann bedeutet das wohl, dass es gefährlich werden könnte.

"Schützt unsere Kinder" stand am Banner von den Leuten, von denen wir die Kinder schützen mussten.

Mein Herz zerbrach an diesem Tag hundert Mal.

Erst als die Lesung gegen Mittag begann, habe ich die Demonstration tatsächlich mit eigenen Augen gesehen. Ich habe zufälligerweise aus dem Fenster geblickt, und war kurz von dem, was ich sah, erstaunt.

Eine Reihe Regenbogen und Farben, und, gegenüber, dunkle Uniformen und weiße Helme. So habe ich die Demonstration zum ersten Mal wahrgenommen.
Wie das war? An dem Tag standen in der Linken Wienzeile Menschen, die uns Liebe und Unterstützung demonstrieren wollten, und auf der anderen Seite Menschen, die uns verletzen wollten. Und die Polizei standen die Ersteren zugewandt, mit dem Rücken zu den Letzteren.

Der Tür zwischen dem Lokal der Villa Vida und dem Haupteingang der Türkis Rosa Lila Villa war wie eine Zeitmaschine. Stand man im Lokal, hörte man Musik und Feiern. Ging man dann durch die Tür in den Haupteingang, hörte man einen Mann durch ein Megaphon über Heimatland und traditionelle Werte plärren.

Irgendwie kommt einem dieser Tonfall, dieses Schnarren, diese Wortwahl unangenehm bekannt vor - bekannt aus einer finsteren Zeit.

Innerhalb von einer Stunde war’s aus und fröhliche Kinder liefen zwischen den Tischen herum. Die Rechtsextremen haben ihre Ziele nicht erreicht. Wien hat gezeigt, dass es auf unserer Seite ist. Und es wurde uns allen gezeigt, dass die Leute, die uns hassen, nicht so viele sind - und dazu ein wenig bis sehr seltsam.

Jetzt ging’s ans Feiern. Feiern, wie man nur feiern kann, wenn man um die eigene Selbstbestimmung kämpfen muss. Je mehr man uns hasst umso mehr  lieben wir einander.

Wir tranken Spritzer, feierten unseren Sieg und bekamen sogar ein Konzert von Conchita Wurst, die extra für uns nach Wien kam.

Am Abend saß ich erschöpft und verhungert auf dem Sofa meiner Oma und schaute mit ihr die Nachrichten an. Als der ORF Bilder von meinem kleinen Lieblingslokal zeigte, seufzte ich mit Tränen in den Augen, "wir haben gewonnen, wir haben gewonnen".

Also doch. Die Zeiten haben sich geändert. Wir kämpfen immer noch um dasselbe Gebäude, aber diesmal haben wir die Leute auf unserer Seite.

Eines wird sich aber nie ändern. Man wird uns immer ausgrenzen, und wir werden immer trotzdem einfach feiern.

Ich wünschte aber, dass wir eines Tages keinen Sieg mehr feiern müssen. Ich bin erschöpft, ein politischer Player zu sein, nur weil ich existiere und so bin wie ich bin. Ich freue mich sehr, dass ich Conchita Wurst sehen und treffen konnte, aber ich hätte ehrlich gesagt lieber einfach nur ein Ticket gekauft, wenn das bedeutet hätte, dass meine Freundinnen und ich friedlich in unserem Lieblingslokal leben könnten.

Link-Hinweis: Hier geht's zur ungekürzten Englischen Version des Essays / Follow this link for the english version of this essay.