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Vernichtung statt Würdigung

Von Gerda Mayer

Gastkommentare
Gerda Mayer ist Pensionistin. Die Spezialistin für Zivilrecht war früher erfolgreich in privaten Betrieben tätig.
© privat

Das von der Bundesregierung beschlossene Ende der "Wiener Zeitung" in ihrem 320. Bestandsjahr ist empörend.


Die "Wiener Zeitung", als älteste Tageszeitung der Welt ein einzigartiges Kulturgut Österreichs, soll in Kürze von der Bundesregierung durch Einstellung als Tageszeitung vernichtet werden. Diese Qualitätszeitung wird im In- und Ausland als Sinnbild des Qualitätsjournalismus geschätzt. Man dürfte in ihrem 320. Bestandsjahr von der Bundesregierung wohl eine würdige Feier mit der Zeitung erwarten. Aber diese Bundesregierung feiert nicht und würdigt nicht. Sie will dieses hervorragende Qualitätsmedium vernichten. Wir Seniorinnen und Senioren sind empört!

Die "Wiener Zeitung" ist für uns seit mehr als einem halben Jahrhundert mit ihrer aktuellen, objektiven, fundierten und vielfältigen Berichterstattung unverzichtbare Wegbegleiterin. Wie diese Bundesregierung mit ihr umgeht, ist intolerabel und eines demokratischen Miteinanders unwürdig. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat und lassen uns unsere "Wiener Zeitung" nicht nehmen! Die Bundesregierung ist nicht Eigentümerin der "Wiener Zeitung", sondern Vertreterin der Eigentümerin. Diese ist die Republik Österreich. Das sind wir alle, die Bürgerinnen und Bürger des Landes, das Volk.

Das Volk ist laut unserer Verfassung der Souverän. Ungeachtet dessen beschließt die Bundesregierung die Vernichtung des Eigentums des Volkes unter Missachtung dessen unmissverständlichen, durch unzählige Unterstützer der "Wiener Zeitung" zum Ausdruck gebrachten Willens. Als Vertreterin hätte sie die Interessen des Vertretenen zu wahren, zu diesem Zweck mit ihm Kontakt zu halten, ihn vor Schaden zu schützen und eigene Interessen unterzuordnen. Diese Grundsätze gelten auch und besonders für die Volksvertreter.

Die Einstellung der Zeitung als Tageszeitung würde das Volk als Eigentümer und die Republik Österreich als Kulturnation irreparabel schädigen. Die Bundesregierung hat den Proteststurm gegen ihr Vorhaben, den massiven Widerstand breiter Bevölkerungsschichten, die eindringlichen Appelle namhafter Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur, der Medienwelt, von Interessenvertretungen, der Glaubensgemeinschaften, der gesamten Opposition und der Auslandspresse sowie die Forderung aller Unterstützerinnen und Unterstützer nach Verhandlungen mit der Redaktion, Medienfachleuten, Investoren und anderen zur Sicherung des Fortbestandes der "Wiener Zeitung" ignoriert.

Sie hat den Dialog mit dem Eigentümer verweigert und ihr Ziel der Vernichtung der "Wiener Zeitung" mit außerordentlicher Beharrlichkeit weiter verfolgt. Die Medienministerin hat keine einzige Alternative angeboten und sich mit vorgelegten geeigneten, soliden und umsetzbaren Finanzierungskonzepten zur Sicherung des Fortbestandes der Zeitung nicht auseinandergesetzt.

Anrufung des Verfassungsgerichtshofs

Die Bundesregierung leistet sich den Spitzenwert von 38,4 Millionen Euro pro Jahr für die Kabinette. Die Vergabe von Inseraten der öffentlichen Hand und staatsnaher Betriebe an Medien kostet Millionen, die Förderungen nach dem Gießkannenprinzip und die Vielzahl der Überförderungen während der Pandemie erreichten erschreckende Ausmaße. Alle diese Ausgaben machen der Bundesregierung keine Sorgen. Aber die vergleichsweise bescheidenen Kosten für den Erhalt der "Wiener Zeitung", eines großartigen Beispiels für Qualitätsjournalismus, der eine Säule unserer Demokratie ist, dienen der Bundesregierung als Vorwand für deren Vernichtung. Das ist absurd und unerträglich.

Die Bundesregierung beraubt im Falle der Realisierung ihres Zieles das Volk seines Eigentums. Sie verletzt das Grundrecht des Eigentums jeder Bürgerin und jedes Bürgers. Die Unverletzlichkeit des Eigentums ist in Artikel 5 des Staatsgrundgesetzes verankert.

Wir Seniorinnen und Senioren haben viele Regierungen kommen und gehen gesehen. Aber keine hat das Volk, dem auch die Wählerinnen und Wähler der Regierungsparteien angehören, unter Dialogverweigerung und Grundrechtsverletzung seines Eigentums beraubt.

Für diese Regierung gelten offenbar nur ihr Wille und ihre Ziele. Aber die Regierung ist nicht Alleinherrscherin, und die Bürgerinnen und Bürger sind nicht ihre Untertanen. Ihre Mehrheit gibt ihr nicht das Recht, dem Volk und dem Land Schaden zuzufügen. Wenn sie diese Mehrheit dennoch zur Durchsetzung der Einstellung der "Wiener Zeitung" als Tageszeitung benutzt, wird im Vertrauen auf unseren demokratischen Rechtsstaat der Verfassungsgerichtshof angerufen werden, damit das Höchstgericht über das Verhalten der Bundesregierung entscheidet und damit auch Orientierung über Wert und Wesen unserer Demokratie gibt. Das Ausland wird dies mit Interesse beobachten.