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Den gedankenlosen Wahnsinn verhindern

Von Heinz Nussbaumer

Gastkommentare
Demonstration für den Erhalt der "Wiener Zeitung" am Dienstagabend.
© Matthias Cremer

In einer traurigen, üblen Zeit für unsere Demokratie ist der drohende Tod der "Wiener Zeitung" ein besonders trauriges, übles Ereignis.


Zehn lange Jahre habe ich hier
am Ballhausplatz gearbeitet - aber nicht im Traum wäre mir die Idee gekommen, einmal hier bei einer Demo zu reden. Heute muss es sein. In einer traurigen, üblen Zeit für unsere Demokratie ist der drohende Tod der "Wiener Zeitung" ein besonders trauriges, übles Ereignis. Die politische Macht radiert eines unserer großen Vorzeigemedien einfach aus - ohne jeden Hauch von schlechtem Gewissen. Ohne Gedanken an Alternativen. Ohne Dialog mit denen, die so laut nach Rettung schreien.

Ich habe mich heute zu Wort gemeldet, um an einen besonderen Mann zu erinnern. Es war Ende 2019, kurz vor Ausbruch der Pandemie. Am Frühstückstisch des großen Hugo Portisch ist sein gewohnter Zeitungsberg gelegen, darunter zwei englischsprachige Blätter - und unsere "Wiener Zeitung". Der damals 92-Jährige hat darauf geschaut und ein erstes Mal vom Gerücht gesprochen, die Wiener Regierungskoalition wolle die weltweit älteste existierende Zeitung einstellen. Und die beiden Freunde am Tisch - die "Kurier"- und ORF-Legende Hugo Portisch und ich, der Herausgeber der immer gefährdeten, kleinen und hochanständigen Wochenzeitung "Die Furche" - wir haben keinen Moment gezögert, um darüber nachzudenken, was wir tun könnten, um diesen gedankenlosen Wahnsinn zu verhindern. Ohne Rücksicht auf unsere eigenen medialen Solidaritäten. Drei Tage später haben wir einen leidenschaftlichen Appell formuliert und unterschrieben, um der mehr als 300 Jahre alten "Wiener Zeitung" als ein Stück Weltkulturerbe ihre politische Existenzbedrohung zu ersparen: Aus tiefer Überzeugung haben wir sie als ein angesehenes "Vorbild für Qualität und Verantwortungsbewusstsein" gewürdigt; auch als "Maßstab im Kampf gegen Trivialisierung und Banalität" - in der Hoffnung, ihr so die Zukunft zu sichern.

Seit damals hat unser Land eine Bewegung ohne Beispiel erlebt: Aus allen Medien, allen Parteien, allen politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Hierarchien ist der bedrohten Zeitung als unverzichtbares Kulturgut ein ungeheures Maß an Solidarität und Engagement zugeflossen - mit der Bitte an die Mächtigen, die vielen besorgten Stimmen ernst zu nehmen. Alle getragen von der Hoffnung, dass gerade jene politisch Verantwortlichen, die sich für Kultur, für Wissen und Gewissen verantwortlich fühlen, jenseits politischer Strategien auf ihr Herz und ihr Hirn zu hören. Wissend, dass jedes Qualitätsmedium, das wir verlieren, ein Todesfall für unser Land ist. Natürlich ist an dem Argument etwas dran, dass es nicht primäre Aufgabe eines Staates ist, eine Zeitung zu erhalten. Es muss aber Alternativen geben, um die Eigentümerschaft zu übernehmen. Und das braucht Dialog statt Gesprächsverweigerung, es braucht ein wenig Verständnis und Geduld - einem großen Vermächtnis zuliebe. Das kann und darf man nicht mit lockerer Zunge und tauben Ohren in den Orkus schicken. Da gibt es eine Verpflichtung. Diese in letzter Stunde zu erkennen, darum bitte ich!

Den vorliegenden Text hat Heinz Nussbaumer bei der Demonstration für den Erhalt der "Wiener Zeitung" verlesen.