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Kleinteilig und unübersichtlich

Von Bernhard Wurzer

Gastkommentare
Bernhard Wurzer ist Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
© ÖGK / Georg Wilke

Im an sich guten Gesundheitswesen sind Reformen dringend notwendig, aber schwer umsetzbar.


Es ist ein Wettbieten mit kreativen Vorschlägen. Aus jedem Winkel des Landes kommen Anregungen, wie das Gesundheitssystem verbessert oder zumindest anders organisiert werden soll - am besten mit dem Geld der anderen. Schlägt gerade die Stunde der Gesundheitsreform? Eines ist klar: Reformbedarf ist da, wir müssen an vielen Schrauben drehen. Doch der Grund für den plötzlichen Gestaltungswillen der einzelnen Vertreter ist einfach, aber sperrig zugleich: Die Verhandlungen für den Finanzausgleich, also die Verteilung der Steuereinnahmen des Bundes an Länder und Gemeinden, stehen gerade am Anfang. Wer sich jetzt bemerkbar macht, kann mit einem größeren Stück vom Steuerkuchen rechnen.

Was wir nicht vergessen dürfen: Das österreichische Gesundheitssystem funktioniert gut. Aber es ist kleinteilig organisiert und unübersichtlich gestaltet. Viele Player mischen mit, und die Finanzierungsströme sind derart verästelt, dass kaum jemand den Überblick wahrt - weder Fachleute noch Patientinnen und Patienten. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) will den Finanzausgleich zum Anlass nehmen, Strukturreformen zu setzen. Um nachhaltige Reformen zu setzen, gilt es grundlegende Linien festzulegen. Das übergeordnete Ziel muss sein, den größtmöglichen Nutzen für Patientinnen und Patienten zu erzielen, nicht - wie so oft in der Vergangenheit - den kleinstmöglichen Nenner aller beteiligten Player.

Neun Bundesländer, neun Spitalssysteme

Die Pandemie hat gezeigt, dass Gesundheit kostet. Und sie hat noch viel deutlicher gemacht, welche Probleme existieren. Die Krise hat diese Probleme wie ein Brennglas verstärkt. Akut wurde das im Spitalsbereich: Ob Betten, Arbeitsbedingungen, Personal - alles am Anschlag, lautete die Botschaft. Doch woran liegt das? Spitäler sind überwiegend das gesundheitspolitische Handlungsfeld der Länder. Jedes Bundesland macht seine eigene Planung, über Bundeslandgrenzen schaut man dabei nicht. Die Länder sehen sich als Spitalsträger einzig verantwortlich für diesen Bereich und nur ihr Bundesland.

Es fehlt eine starke bundesweite Steuerung. Denn nicht die Länder finanzieren das Spitalssystem, der Hauptzahler ist die Sozialversicherung. Mehr als 42 Prozent der Krankenhausbudgets kommen von den Sozialversicherungsbeiträgen, die restlichen 58 Prozent teilen sich hauptsächlich Bund, Länder und Gemeinden auf. Die Länder haben trotzdem zu 100 Prozent das Sagen, was mit diesem Geld geschieht und wie es investiert wird.

Die Sozialversicherung zahlt derzeit jährlich 6,3 Milliarden Euro für die Spitäler - ohne zu wissen oder mitreden zu können, wie viele Patientinnen und Patienten versorgt werden oder welche Behandlung sie erhalten. Dabei wird die Gesundheitsversorgung immer ambulanter. Das zeigen auch die Zahlen: So sind Spitalsausgaben, Patientenzahlen und verbrachte Tage im Spital in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Auch wenn die Ambulanzen gefühlt immer voller werden, ist das auf fehlendes Personal zurückzuführen und nicht auf mehr Andrang, denn die Ambulanzfrequenzen stagnieren bereits seit 2010 kontinuierlich.

Interessanterweise explodieren trotzdem im Bereich der Spitalsambulanzen die Endkosten. Es ist also logisch, dass die Länder nach mehr Geld rufen. Genauso ist es aber verständlich, dass die Sozialversicherung nicht mehr, sondern weniger in die Spitäler leiten möchte. Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) ist eine Versicherung und bezahlt konkrete Leistungen. Gehen diese zurück, sollte das auch für die Kosten gelten. Das Gegenteil ist aber der Fall. Seit dem Jahr 2010 zahlen wir 2 Milliarden Euro mehr für die Spitalsfinanzierung - und das, obwohl wir bei den Strukturen nicht mitreden dürfen.

Die Kostenexplosion in den Spitälern hat verschiedene Gründe: Einerseits liegt das an den gesetzlichen Rahmenbedingungen. So hat das neue Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz die erlaubten Dienstzeiten verkürzt und so den Personalbedarf erhöht, ebenso wie Änderungen in der Ärzteausbildung, die zu weniger Nachwuchs in den Spitälern führt. Andererseits treibt das Wetteifern mancher Landespolitiker um die attraktivsten Gehälter (siehe Burgenland) die Kosten weiter nach oben. Auch die Konkurrenz der Häuser untereinander spielt mit. Hat ein Spital ein teureres neues Gerät, möchte man das in anderen auch, egal ob das strukturell logisch oder notwendig ist. Dazu kommen die mangelnde Steuerung und Schwierigkeiten, Strukturreformen umzusetzen.

Weniger Landeslogik, mehr Patienteninteresse

Die Spitalsplanung muss weniger aus Landeslogik und mehr aus Patienteninteresse erfolgen. Wenn etwa im Burgenland ein Spital geplant wird, obwohl in unmittelbarer Nähe direkt über der Landesgrenze in Niederösterreich mehrere Spitäler stehen, hebt das nicht die Qualität der Versorgung. Auch das willkürliche Abweisen von Patienten aus anderen Bundesländern durch Landespolitiker kann nicht die Rechtfertigung für den Bau neuer Spitäler sein. Es braucht einerseits eine bundeslandübergreifende Planung der Spitalslandschaft und parallel dazu andererseits eine Initiative zur Stärkung des niedergelassenen Bereiches und der Primärversorgung, um so die Spitäler schrittweise gezielt zu entlasten.

Erste Schritte in die richtige Richtung wurden bereits gesetzt, wie mit der Initiative des neuen Gesetzes zu Primärversorgungseinheiten (PVE) durch ÖVP und Grüne, das sich derzeit in Begutachtung befindet. Die Selbstverwaltung der ÖGK hat sich entschlossen einen österreichweit einheitlichen Gesamtvertrag für Ärztinnen und Ärzte zu forcieren und damit ein flächendeckendes Versorgungsangebot zu garantieren. Doch um dort hinzukommen, braucht es nicht nur Rückenwind vom Gesetzgeber, wie der Rechnungshof in seinem jüngsten Bericht zur Fusion der Sozialversicherungsträger festgestellt hat, sondern auch zusätzliche finanzielle Mittel. Wenn die Sozialversicherung weiterhin 6,3 Milliarden Euro in Spitäler investiert, fehlt das Geld für den Ausbau des niedergelassenen Bereichs. Ganz zu schweigen von der Weiterentwicklung der Vorsorgemedizin.

Gesundheitshotline 1450 als erste Anlaufstelle ausbauen

Zudem soll die Gesundheitshotline 1450 zu einem Angebot mit digitalen Services ausgebaut werden, nach dem Motto: digital vor ambulant vor stationär. 1450 war in den vergangenen Jahren erste Anlaufstelle bei Covid-Verdachtsfällen und -Infektionen. Auch wenn der Umgang mit Covid-19 dank Impfung und Forschung heute viel einfacher geworden ist, kann 1450 weiterhin der erste Kontakt für Patientinnen und Patienten bleiben - sowohl bei unklaren Krankheitssymptomen als auch bei der Frage, welcher Arzt beziehungsweise welche Gesundheitseinrichtung aufgesucht werden soll.

Schnelle und fundierte Hilfestellung dieser Art ist ganz wesentlich für die heutige Welt, in der jeder und jede gewohnt ist, Information sofort und leicht zu bekommen. Bei medizinischen Problemen ist entscheidend, Information verständlich aufzubereiten und klare Antworten zu geben. Wenn wir 1450 weiter gemeinsam ausbauen und mit Telemedizin und Online-Visite im niedergelassenen Bereich ergänzen, können wir die Versicherten gleich zur richtigen Anlaufstelle und Behandlung bringen.

In den vergangene Jahren wurden Milliarden für die Pandemiebekämpfung, den Kampf gegen die Teuerung sowie die Folgen der Lockdowns ausgegeben. Es wäre an der Zeit, in die Gesundheit zu investieren und überfällige Strukturreformen der Spitäler und den Ausbau des niedergelassenen Bereichs anzustoßen. Auf dem Papier geht es um Zahlen und Kommastellen, um Milliarden und Millionen. Doch dahinter stehen rund 7,5 Millionen ÖGK-Versicherte, von denen jeder und jede die Versorgung bekommen soll, die notwendig ist.