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Sozialhilfe für die politische Vernunft

Von Andreas Kresbach

Gastkommentare
Andreas Kresbach ist Jurist und Autor in Wien.
© privat

Die Maßnahmen gegen die Teuerung sind ebenso richtig wie überfällig. Es muss aber noch mehr folgen.


Nun hat man doch auf die Experten gehört, und das ist gut so. Die Maßnahmen gegen die anhaltende Verteuerung der Lebenshaltungskosten sind ebenso richtig wie überfällig. Schließlich ist wegen der im europäischen Vergleich viel zu hohen Inflation und der exorbitanten Preissteigerungen für zunehmend mehr Menschen das alltägliche Leben nicht mehr leistbar. Ob die Maßnahmen wirken werden, hängt jedoch weitgehend von der E-Wirtschaft und vom Handel ab.

Zur notwendigen sozialen Treffsicherheit müssten deshalb noch die Wertanpassung der Sozialhilfe und die Erhöhung des Arbeitslosengeldes kommen, um die vulnerabelsten Gruppen nachhaltig zu entlasten. Auch das raten viele Experten. Und dann bleiben noch die enorm gestiegenen Wohnkosten. Die laut Sozialberatungsstellen für gar nicht so wenige Menschen triste Option "Hungern für Miete" ist eines wohlhabenden Landes wohl nicht würdig.

Acht von zehn Klienten der Caritas geben an, dass sie ohne deren Unterstützung die alltäglichen Kosten nicht tragen könnten. Der Großteil von ihnen muss bereits mehr als die Hälfte des Einkommens für Miete und Energiekosten verwenden. Für die im Regierungsprogramm vorgesehene Neuregelung des Mietrechtes wäre jetzt ein besonders dringender Anlass. Und es gibt auch gar nicht so wenige Menschen, die bei dieser Preisexplosion trotz einer Beschäftigung akut armutsgefährdet sind. Sie sind der Gradmesser dafür, dass die bisherigen Einmalzahlungen nicht gewirkt haben.

Jetzt zeigt sich auch, dass die vor einigen Jahren statt der Mindestsicherung neu geschaffene reduzierte Sozialhilfe nicht nur Haushalte mit niedrigen Einkommen, sondern mittlerweile sogar die untere Mittelschicht in akute Armutsgefährdung abgleiten lässt. Wer diesen politisch motivierten Sozialabbau damals besonders eifrig vorantrieb, war die FPÖ, die selbsternannte "Partei der kleinen Leute". Von ihr sind zur aktuellen Teuerungskrise keine Lösungen zu hören. Dennoch, und trotz der zahlreichen beschämenden Eskapaden der vergangenen Jahre im Geist des Ibiza-Videos, liegt diese Partei seit Monaten in den Umfragen vorne und schickt sich an, die nächste Bundesregierung anzuführen. Die sogenannten Mitbewerber? Wirken ein wenig wie das Kaninchen vor der Schlange. Ein großes Zittern geht durchs Land.

Das Grundproblem der beiden Großparteien

Genau hier zeigt sich das Grundproblem der beiden Großparteien: Anstatt offensiv eigene Themen zu setzen, für den ökologischen Umbau der Wirtschaft über den Ausstieg aus der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, die Entlastung der Arbeitskosten, bis zu wirksamen Anreizen, Arbeitssuchende möglichst rasch in Beschäftigung zu bringen, springt man meistens vermeintlich erfolgreichen FPÖ-Slogans nach und versucht diese nur etwas zivilisierter unters Volk zu bringen. Diese Strategie, die noch vor einigen Jahren aufgegangen ist, wird aber mittlerweile zunehmend durchschaut. So viele Wähler gewinnt man mit simpler Nachahmung von Rechtspopulismus auch nicht mehr, schon gar nicht mit unwürdigen Verrenkungen gegenüber Corona-Leugnern. Da würde es sich wohl eher auszahlen, junge Neuwähler und zuletzt enttäuschte Nichtwähler anzusprechen. Von denen soll es ja nicht wenige geben.

Eine notwendige inhaltliche Abgrenzung zum aggressiven Populismus der Freiheitlichen, sei es in der indiskutablen Frage der Russland-Sanktionen, beim Herbeifantasieren einer nationalistischen Festung oder bei den irrwitzigen Ideen gegen die Corona-Maßnahmen inklusive rechtswidriger Rückzahlung von Corona-Strafen, unterbleibt aus purer Angst vor weiteren Wählerstimmenverlusten und steht einer Partei, die immer für staatstragende Politik gestanden ist, ganz schlecht zu Gesicht.

Wer Verantwortung für das Land übernehmen will, sollte dem vordergründigen Marktgeschrei entschlossen entgegentreten und aus der seit Jahren sich drehenden Negativspirale mit zukunftsorientierter Sachpolitik herauskommen. Und es ist nicht nur eine Frage der besseren Kommunikation, wie oft behauptet wird, sondern es geht zuallererst um konkrete Antworten auf die drängendsten Probleme für die Menschen in diesem Land.

Nach der Corona-Politik ist vor der Klimaschutzpolitik

Immerhin scheinen vernünftige Leute in der Volkspartei zunehmend zur Einsicht zu gelangen, dass eine klare Abgrenzung zu den blauen Populisten zwecks Unterscheidbarkeit und eigenem Profil doch angebracht wäre. Und es gibt ja durchaus auch Positives zu berichten: Die Corona-Politik war trotz gescheiterter Impfpflicht insgesamt doch recht erfolgreich, sowohl in gesundheitlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die ökosoziale Steuerreform wurde mit der CO2-Bepreisung und einer allgemeinen Entlastung eingeleitet, die anstehende Energiewende wurde mit mehreren Öko-Gesetzen doch etwas weitergebracht, und die Wirtschaft läuft wieder so gut, dass mittlerweile in vielen Branchen Arbeitskräfte gesucht werden.

Schließlich geht es ja auch darum, in der nächsten Regierung, die hoffentlich nicht mehr durch eine Pandemie oder einen Krieg in Europa beeinträchtigt sein wird, endlich die Ressourcen zu haben, eine wirksame Klimaschutzpolitik voranzutreiben. Wie sollte aber eine Koalition innovative Beiträge zur Klimapolitik liefern, wenn eine Partei den Klimawandel im Prinzip leugnet? Und auch für eine Lösung der Asyl- und Migrationsfrage wird es konstruktive Kräfte brauchen, die die EU-Entscheidungsprozesse kennen und akzeptieren und keine nationalistisch-populistischen Gegner eines starken Europas. Und dann stelle man sich vor, eine neuerliche Pandemie müsste von einem FPÖ-geführten Gesundheitsministerium gemanagt werden, mit öffentlichen Streitereien über die Sinnhaftigkeit einer Impfung, etc. - das will man sich wahrscheinlich auch in der ÖVP nicht vorstellen.

ÖVP und SPÖ müssten sich sichtbar erneuern

Eine längst fällige Entzauberung der FPÖ - so man dies denn will - kann wohl nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung aller verantwortungsbewussten und staatstragenden Parteien, und da vor allem von den beiden größten, der Volkspartei und den Sozialdemokraten, gelingen. Damit offenkundig wird, wer in diesem Land zukunftsfähige Reformpolitik und gleichzeitig eine die Demokratie und den Rechtsstaat stärkende politische Kultur glaubwürdig repräsentiert. Beide Parteien haben genug Experten in ihren Reihen und in den ihnen nahestehenden Sozialpartnern, um sachpolitische Konzepte zu erarbeiten und diese auch glaubwürdig zu kommunizieren.

Für eine solche Selbstermächtigung müssten sich allerdings sowohl ÖVP als auch SPÖ personell und inhaltlich sichtbar erneuern. Die Volkspartei sollte sich endlich damit abfinden, dass die Ära Sebastian Kurz vorbei ist, und die Sozialdemokraten müssten endlich ihre politischen Ziele definieren, was sie anders und besser machen würden. Aber auch die Grünen und die Neos sollten sich mit kreativen Zukunftsperspektiven in diesen parteiübergreifenden Prozess einbringen; schließlich könnte ja auch eine Dreierkoalition notwendig werden. Die Krise der Inflation muss nicht nur im Interesse der vielen betroffenen "kleinen Leute" bewältigt werden, sondern ist auch eine Art Sozialhilfe für den Erfolg der politischen Vernunft.