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Die "Neue Seidenstraße" - eine Schuldenfalle für Anrainerstaaten?

Von Alexander Eberan und Karl Freidl

Gastkommentare
Alexander Eberan leitet das Private Banking der Steiermärkischen Sparkasse in Wien.
© Thomas Raggam

68 Länder sind in das Projekt involviert. Gleichzeitig vergibt China Rettungskredite an 22 Staaten.


Chinas gigantisches Infrastrukturprojekt "Neue Seidenstraße" ("Belt and Road Initiative") ist in aller Munde und wirft angesichts der kolossalen Investitionssumme von rund 900 Milliarden US-Dollar zunehmend Probleme auf. Laut einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfK) und der Weltbank können viele Anrainerländer, die für den Bau von Infrastruktur bei chinesischen Banken Kredite aufgenommen haben, diese nicht mehr bedienen. China reagiert mit Rettungskrediten, die in ihrer Dimension an die Unterstützung Griechenlands und anderer südeuropäischer Staaten in Folge der Euro-Krise erinnern.

Chinas "Belt and Road Initiative" ist eines der ehrgeizigsten Infrastrukturprojekte der Geschichte. Der ursprüngliche Plan, Ostasien und Europa durch Transportwege zu verbinden, hat sich später auf Afrika, Ozeanien und Lateinamerika ausgeweitet. Vorgesehen sind der Auf- und Ausbau von Straßen, Bahnstrecken, Flughäfen sowie Binnen- und Seehäfen. 68 Länder sind bereits involviert, bis 2049 soll das Projekt beendet sein. Die "Neue Seidenstraße" wurde zum Symbol des wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einflusses Chinas auf die globale Wirtschaft und die internationale Finanzordnung, was vor allem in den USA mit Argwohn beobachtet wird.

Dass China über die "Neue Seidenstraße" ein riesiges System zur Rettung von Krisenstaaten aufgebaut hat, war lange nicht bekannt. Aktuell sind laut IfK rund 60 Prozent aller chinesischen Auslandskredite, die großteils von Entwicklungs- und Schwellenländern aufgenommen wurden, von Zahlungsausfällen bedroht. Bisher vorliegenden Daten zufolge wurden bis Ende des Geschäftsjahres 2021/2022 Schuldnerländern (darunter Ägypten, Argentinien, Ecuador, Laos, die Mongolei, Pakistan, Surinam, Sri Lanka, die Türkei, die Ukraine, Venezuela und Weißrussland) 128 Rettungsdarlehen im Gesamtwert von 240 Milliarden US-Dollar gewährt.

Ein riskantes Geschäft

Vergeben werden meist Refinanzierungskredite, also die Verlängerung von Laufzeiten oder Zahlungszielen, beziehungsweise neue Kredite zur Finanzierung fälliger Schulden zu einem sehr hohen durchschnittlichen Kreditzins von 5 Prozent. Zum Vergleich: Ein typischer Rettungskredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird mit nur 2 Prozent verzinst. Die Folge: Chinesische Banken agieren nun deutlich zurückhaltender und haben die reguläre Kreditvergabe für neue Infrastruktur- und Energieprojekte drastisch reduziert, was Fragen zur Zukunft der "Neuen Seidenstraße" aufwirft.

Länder mit mittleren Einkommen sind für die Banken mit einem hohen bilanziellen Risiko behaftet. Denn auf sie entfallen 80 Prozent beziehungsweise mehr als 500 Milliarden US-Dollar der gesamten chinesischen Auslandskredite. Chinas Führung hat daher großes Interesse, einen Zahlungsausfall dieser Länder auf jeden Fall zu verhindern. Sie bietet ihnen im Fall von Zahlungsschwierigkeiten in der Regel neue Kredite an, um damit die alten Schulden zu tilgen. Da viele dieser Länder eine schwache Bonität und geringe Devisenreserven aufweisen, ist das Ausfallrisiko für die neuen Kredite hoch.

Auf Länder mit niedrigen Einkommen entfallen nur 20 Prozent der chinesischen Auslandskredite. Deren Kredite sind für die Stabilität des chinesischen Bankensektors daher weniger wichtig, und sie bekommen selten neues Geld. Bei Zahlungsschwierigkeiten steht ihnen in der Regel nur die Option eines Staatsbankrotts oder einer Umschuldung, etwa durch eine Streckung der Fälligkeiten, zur Verfügung. Für die chinesischen Banken sind die Verflechtungen rund um die Rettungskredite zwar riskant, doch bleibt ihnen keine andere Wahl. Sie müssen sicherstellen, dass ihre größten ausländischen Kreditnehmer ausreichend liquide sind, um ihre Schulden weiter zu bedienen. Andernfalls laufen Chinas Banken Gefahr, bald selbst gerettet werden zu müssen.