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Ein Weckruf für alle Bildungseinrichtungen

Von Julia Katovsky

Gastkommentare
Julia Katovsky ist Projektmanagerin beim österreichischen Bildungsanbieter ETC.
© ETC

Künstliche Intelligenz verändert nicht irgendwann unser Lernen, sondern jetzt.


Chegg ist eine US-Lernplattform, die jährlich mehr als 700 Millionen Euro damit verdient, Schülern und Studenten bei Hausaufgaben, Aufsätzen oder Prüfungen zu helfen. Kürzlich brach die Aktie um 48 Prozent ein, weil Lernende zunehmend ChatGPT nutzen. Dies ist nur ein erstes Geschäftsmodell, das durch KI zu bröckeln beginnt. Die Folgen für Bildungseinrichtungen werden noch weitreichender sein. Viele befürchten, dass ChatGPT irgendwann große Institutionen überflüssig machen werde. Nun, irgendwann ist jetzt. Denn wer will jahrelang studieren, wenn KI den Job danach besser kann? Positiv gesehen: KI könnte helfen, die Schulden zu vermeiden, die sich Studierende für ihre Ausbildung aufbürden. US-Bildungseinrichtungen, aber auch Banken, werden das nicht mögen.

Das Problem der aktuellen Nutzung ist: Schüler lernen nichts dabei, wenn sie einen Chatbot die Aufgaben lösen lassen. Deswegen waren Lehrer in den 1970er Jahren gegen Taschenrechner. Man lernt nichts, wenn die Fehler nicht dokumentiert werden. Trotzdem wurde der Taschenrechner ein gängiges Lerntool. Bei der KI wird es nicht anders sein. Um Lerneffekte zu ermöglichen, hat die Khan Academy den Chatbot Khanmigo entwickelt: Dieser gibt nicht einfach fertige Antworten, sondern führt seine Nutzer durch Denkprozesse und hinterfragt zum Beispiel Rechenwege. Der Mittelweg, den die meisten Bildungseinrichtungen rund um KI gehen, ist gefährlich: Sie beschäftigen sich nicht wirklich damit oder lehren, wie man sie am besten einsetzt, sie verbieten sie aber auch nicht vollständig. So werden Schüler und Studenten vom Nachdenken befreit und weiter darin geschult, wie man Tests und Zeugnisse erwirbt, ohne die Inhalte zu beherrschen.

Im Idealfall üben die Schüler zu Hause mit KI-Tools und festigen das Gelernte dann im Unterricht durch kollaborative Aktivitäten, Diskussionen oder Problemlösungsübungen. Das Tool ersetzt aber weder das Lernen in der Gruppe noch die Übung gelernter Fähigkeiten mit Lehrkräften und ihre soziale Unterstützung. Gute Lehrende leisten so viel mehr. Sie können Schüler für vermeintlich langweilige Fächer begeistern oder sogar ihre Berufswege inspirieren. Menschen wurden schon Journalisten, weil sie gute Deutschprofessoren hatten. Deshalb sind Lehrer gefordert, ihre Rolle als Mentoren und Coaches anzupassen und Schülern zu helfen, ihre eigenen Lernziele zu setzen und zu verfolgen. Damit die Schüler mehr Kontrolle über ihr Lernen haben und sich mehr für das, was sie lernen, interessieren.

KI ist nur eine zusätzliche Ressource, die uns hilft, Fakten zu prüfen und zu lernen. Und genau das ist die Kompetenz Nummer eins des "KI-Führerscheins": In Zukunft können wir Fehler, die wir machen, nicht der KI in die Schuhe schieben. Es liegt an uns, ob wir unsere Werkzeuge halluzinieren oder Fake News verbreiten lassen. Wir müssen unsere Arbeit überprüfen. Check - Re-Check - Double-Check ist eine verbreitete Arbeitsethik unter Wissensarbeitern. Wer das beherrscht, wird die Effizienzgewinne künstlich intelligenter Werkzeuge mehr zu schätzen wissen.