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Krisen als Weckruf für Europa

Von Stefan Haböck

Gastkommentare
Stefan Haböck ist politischer Berater am Institut der Regionen Europas in Salzburg, Vizepräsident von Paneuropa Österreich und Vorstand der Ukrainian Austrian Association.
© Katharina Schiffl

Nur ein gemeinsames Europa, das bereit ist, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft und Demokratie zu verteidigen und geopolitisch geschlossen agiert, ist stark genug in einer Welt, in der autoritäre Tendenzen zunehmen.


Europa ist auch im Jahr 2023 weiterhin mit Krisen konfrontiert: Nach dem Ende der Corona-Pandemie und einer Energiekrise im Winter hält immer noch ein Krieg auf europäischem Boden den Kontinent in seinem Bann. Auch wenn die Ursprünge dieser Krisen unterschiedlich sind, haben sie gezeigt, dass Europa nur dann erfolgreich reagieren kann, wenn es gemeinsam agiert. Hat das gemeinsame Beschaffungsprogramm Europäern raschen Zugang zu Covid-Impfstoffen ermöglicht und anderen Staaten ausgeholfen, zeigte die volle Invasion Russlands in die Ukraine - als tragischer Höhepunkt eines seit 2014 dauernden Krieges - schonungslos europäische Schwächen in der Sicherheitspolitik auf.

Der russische Machthaber Wladimir Putin wusste um die Spaltung Europas, vor allem in der Frage der Geopolitik, und er wusste um die Abhängigkeiten mancher Staaten in der Energieversorgung. Der Plan, dies auszunutzen, scheiterte aber an der stärksten Waffe Europas: der Einigkeit. Die bis heute geschlossene Reaktion Europas auf den ersten Krieg auf europäischem Boden seit Ende der brutalen Balkan-Kriege (aus denen Europa viel zu wenig gelernt hat), kam wohl nicht nur für Putin überraschend. Auch wenn ohne Unterstützung aus den USA Putins Armee wohl an der EU-Grenze stünde, hat das vergangene Jahr die EU sicherheits- und verteidigungspolitisch verändert.

So tragisch es ist, brauchte es einen brutalen Angriffskrieg als Weckruf dafür, der eingeschlafenen Erweiterungspolitik einen Booster zu verleihen. Albanien und Nordmazedonien, dem böse mitgespielt wurde von einigen EU-Staaten, starten wohl demnächst die Beitrittsverhandlungen, der Kosovo hat im April endlich die lange versprochene Visa-Liberalisierung erhalten. Und die EU ist schließlich engagierter in der Konfliktlösung zwischen Serbien und dem Kosovo. Das ist insofern notwendig, als Konflikte auf europäischen Boden auch von Europa, unabhängig von außereuropäischen Mächten, gelöst werden müssen. Das muss der Anspruch jeder europäischer Politik sein.

Geopolitisch ein klares Signal der EU an bedrohte Staaten

Mit der "neuen Erweiterung" hat man auch den Menschen in der Ukraine, in Moldau und in Georgien (man kann davon ausgehen, dass dieses ebenfalls demnächst den Status erhalten wird) gezeigt, dass sie in Europa wahrgenommen werden. Man muss dazu festhalten: Es geht nicht darum, dass die EU ab morgen viele neue Mitglieder hat. Der Beitrittsprozess dauert viele Jahre und erfordert umfassende Reformen und Anforderungen, die erfüllt sein müssen. Das ist übrigens hauptsächlich im Sinne der dortigen Bevölkerung, die vom Kampf gegen Korruption oder von der Stärkung des Rechtsstaates profitiert. Aber geopolitisch ist es ein klares Signal der EU an bedrohte Staaten wie Moldau oder Georgien.

Doch nicht nur der Zusammenhalt innerhalb Europas ist entscheidend, sondern auch, dass Europa seine Position weltweit stärkt und seine Partnerschaften ausbaut. Sei es in Asien, Südamerika oder Afrika. Souveränität bedeutet nicht, autark zu sein, sondern weltweit verlässliche Partner und Freunde zu haben. Das ist nicht nur für Krisen entscheidend (siehe UN-Resolutionen oder Getreide-Deal), sondern auch, um gegenseitig zu profitieren: Handel, Austausch von Informationen und Best-Practice-Beispiele, voneinander lernen und einander gegenseitig verstehen. Sei es in Europa oder weltweit, man muss es immer wieder klar sagen: Es gibt kein geopolitisches Vakuum. Ist Europa nicht präsent und engagiert, füllt eine andere Macht diese Lücken. Und leider geht die Tendenz zu autoritären Mächten, die stärker werden und an Bedeutung gewinnen. Ob man das will?

Ein klares Gegenmodell zu autoritären Systemen

Aber es geht nicht darum, andere zu belehren, sondern darum, im globalen Wettbewerb ein klares Gegenmodell zu autoritären Systemen anzubieten: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und (soziale) Marktwirtschaft. Zu Letzterer gehören auch Offenheit und Innovationskraft. Die erste Reaktion auf technologische Neuerungen darf nicht sein: Wie kann man das regulieren? Sondern sie muss lauten: Wie kann man das sinnvoll einsetzen? Wenn unter den größten Tech-Firmen der Welt kaum europäische, dafür großteils amerikanische und asiatische Firmen sind, dann muss Europa den Rahmen dafür schaffen, dass Risikokapital zur Verfügung steht für Forschung und unternehmerisches Risiko. BionTech sei als positives Beispiel genannt.

Und weil am jährlichen Europatag auch stets das Motto Europas "In Vielfalt vereint" betont wird: Stärke schöpft Europa auch aus der Vielfalt seiner Regionen, die das historische und kulturelle Erbe des Kontinents in sich tragen und oftmals europäischer agieren als manche Staaten. Subsidiarität, das Grundprinzip der EU, muss wieder stärker in den Vordergrund rücken. Man muss nicht pessimistisch sein, Krisen haben Europa immer gestärkt. Es wird auch dieses Mal so sein.