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Gebären für Putin

Von Ernst Trummer

Gastkommentare
Ernst Trummer ist akademisch ausgebildeter Übersetzer und hat seit mehr als 25 Jahren beruflich mit Russland zu tun.
© privat

Im Angriffskrieg auf die Ukraine spielt nun auch die Demografie eine Rolle.


"Wir leben in einer schwierigen Zeit, es läuft gerade eine militärische Spezialoperation. Deshalb, liebe Frauen, liebe Jungfamilien, bemüht euch, jenes Leben zu erhalten, dass euch der Herrgott geschenkt hat." Es spricht ein junger russischer Soldat in voller Kampfmontur, irgendwo auf freiem Feld. Die Stimmung ist aufgeräumt, zwei Kameraden stehen bei ihm. Die Message: "Kein Grund zur Sorge, wir machen hier nur unseren Job!"

Die russische Antiabtreibungsplattform "Für das Leben!" hat den jungen Mann um eine passende Wortspende für ihre aktuelle Kampagne vor die Kamera gebeten. Er habe selbst erst kürzlich erfahren, dass er Vater wird, sagt der junge Soldat. "Ein Leben auszulöschen, ist einfach. Aber es zu erhalten, ist sehr schwer. Deshalb, Leute, versucht es zu erhalten. Wenn euch der Herrgott so ein Glück geschenkt hat, dann erhaltet dieses Kind, liebt es und passt gut auf es auf."

Dass solche Worte ausgerechnet aus dem Mund eines Soldaten im Kriegseinsatz befremdlich wirken könnten, scheint die Macher der Kampagne nicht weiter zu irritieren. Im Gegenteil, auf unterschiedlich gestalteten Plakatserien vertiefen sie das Sujet noch. Die gestalterische Umsetzung ist einheitlich: auf der linken Plakatseite der Bauch einer Schwangeren, darüber eine Ultraschallaufnahme von einem Fötus, rechts dann zum Beispiel ein salutierender Knabe in Militäruniform oder ein junger Mann in voller Kampfmontur.

In den insgesamt dreizehn Versionen dieser Serie sind elf Knaben beziehungsweise junge Männer sowie zwei Mädchen oder junge Frauen zu sehen. Allesamt treten sie in einem militärischen Kontext auf, der männliche Part als Soldat oder Matrose, der weibliche einmal als Feldkrankenschwester und einmal als Ärztin. Und dazu die Textbotschaft: "Beschütze du mich HEUTE, damit ich dich MORGEN beschützen kann."

Keine Berührungsängste mit dem NS-Gedankengut

Wer sich also dazu entscheidet, ein Kind zu gebären, so die Botschaft der Kampagne, der leistet einen wertvollen Beitrag für den Erhalt der Wehrfähigkeit der Heimat. Derartige Parolen hat es auch in unseren Breiten schon einmal gegeben. Vor knapp 90 Jahren, 1935, gründete Reichsführer SS Heinrich Himmler den Verein "Lebensborn", der im Deutschen Reich und den von ihm besetzten Gebieten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs rund 20 Gebär- und Erziehungsheime betrieb. Dort konnten schwangere Frauen ihre unehelichen Kinder anonym zur Welt bringen - sofern sie selbst von arischem Blut waren. Durch die so verhinderten Schwangerschaftsabbrüche sollten dem Führer tausende stramme junge Deutsche geschenkt werden, die sonst nicht ausgetragen worden wären.

Auch wenn die russische Propaganda den ideologischen Sondermüll der Nationalsozialisten zum Glück nicht übernommen hat: Es ist und bleibt eine der großen Perversionen dieses Krieges, dass ausgerechnet der so stolze Erbe der Bezwinger Adolf Hitlers augenscheinlich keine Berührungsängste mit dem Gedankengut der Nationalsozialisten hat. Das ist einmal mehr gerade in diesen Tagen zu konstatieren, da das offizielle Russland sich wieder einmal als strahlender Sieger im Zweiten Weltkrieg stilisiert.

Stärkster Geburtenrückgang seit dem Ende der Sowjetunion

Die demografsche Entwicklung in Russland nimmt schon seit Jahren einen ungünstigen Verlauf. Unabhängige Demografen gehen davon aus, dass die Geburtenrate im laufenden Jahr 2023 um bis zu 10 Prozent gegenüber 2022 fallen könnte - es wäre der stärkste Rückgang seit dem Ende der Sowjetunion. Generell ist die Gesellschaft deutlich überaltert, die Lebenserwartung hinkt im Vergleich zu anderen entwickelten Ländern merklich hinterher. So ist die russische Bevölkerungszahl im vergangenen Jahr um mehr als eine halbe Million gesunken. Das macht sich vor allem auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Die Arbeitsmigration ist seit der Corona-Pandemie stark rückläufig.

Die Politik versucht hier schon seit längerem vergeblich gegenzusteuern. Vor allem in den strukturschwachen Regionen jenseits des Ural-Gebirges gehen die Behörden dazu über, vermehrt Häftlinge zum Arbeitseinsatz im zivilen Sektor abzukommandieren. Sie kommen vor allem bei großen nationalen Infrastrukturprojekten zum Einsatz, wie etwa bei der Modernisierung der ostsibirischen Baikal-Amur-Magistrale, einem Nebenstrang der Transsibirischen Eisenbahn. Aber das ist keine Lösung, die das Problem an der Wurzel packt.

Der Kreml hat deshalb größtes Interesse an einer nachhaltigen Erhöhung der Geburtenrate. Noch sind in Russland Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche legal und kostenlos. Öffentliche Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ist aber seit 2013 verboten. Und der gesellschaftliche Druck nimmt weiter zu. Das russische Gesundheitsministerium hat bereits vor fünf Jahren einen verbindlichen Leitfaden erarbeitet, mit dessen Hilfe das medizinische Personal seine Arbeit in der Schwangerenberatung entsprechend neu ausrichten und die angehenden Mütter zur Austragung ihres Kindes animieren soll.

Geht es nach der russisch-orthodoxen Kirche, ist die Lage ohnehin klar. Wie der Vorsitzende der kirchlichen Kommission für Familienangelegenheiten, Mutterschutz und Kindeswohl, Fjodor Lukjanow, es sieht, muss der Staat klarmachen, "dass er Schwangerschaftsabbrüche als eine negative, asoziale und inhumane Erscheinung betrachtet, die dem reproduktiven Potenzial und der Gesundheit unseres Volkes schadet".

Ein Ehrentitel aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs

Bevor Präsident Wladimir Putin im vergangenen September die Teilmobilmachung unter den wehrfähigen Männern ausrief, hatte er noch schnell ein Dekret zur Einführung des Ehrentitels "Mutter-Heldin" erlassen. Auch hier wieder: keine Scheu vor der Assoziation mit Hitlers "Mutterkreuz". Anspruchsberechtigt: alle Bürgerinnen der Russischen Föderation, die zumindest zehn Kinder zur Welt gebracht und aufgezogen haben. Und weil man von einem Ehrentitel allein nicht leben kann, gibt es zusätzlich eine Einmalzahlung in Höhe von einer Million Rubel, was aktuell ungefähr dem Wert von siebzehn durchschnittlichen Monatsgehältern entspricht.

Im historischen Kontext betrachtet mag Putins Ukas fast als legislative Verzweiflungstat erscheinen: Der Ehrentitel "Mutter-Heldin" stammt ursprünglich aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, der Oberste Sowjet hatte ihn im Juli 1944 eingeführt, um die horrenden Verluste in der Bevölkerung infolge der Kriegshandlungen wettzumachen. Diese Erklärung ist übrigens keine freie Interpretation, sondern die offizielle Deutung der amtlichen russischen Nachrichtenagentur Tass. Für den Kreml natürlich kein besonders erfreulicher Präzedenzfall.

Unter den ersten Empfängerinnen dieser besonderen Auszeichnung war übrigens die Gattin von Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow. Sie ist Mutter von insgesamt zwölf Kindern, darunter vier Buben, von denen drei, im Alter zwischen vierzehn und sechzehn Jahren, bereits in der Ukraine kämpfen. Behauptet zumindest der stolze Herr Papa.