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Das Hauptziel der Währungshüter ist Glaubwürdigkeit

Von Peter De Coensel

Gastkommentare

Für die Zentralbanken ist die Bekämpfung der Inflation aktuell zweitrangig.


2022 war ein außergewöhnliches Jahr für Anleger. Noch nie in der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen gemeinsamen Rückgang von Aktien- und Anleihenmärkten in diesem Ausmaß. Der Bloomberg US Treasury Total Return Index ging um 12,46 Prozent zurück. Der Aktienindex S&P 500 schloss 2022 mit minus 19,44 Prozent, der zinsempfindliche Nasdaq fiel sogar um 33,1 Prozent. Wir müssen bis ins Jahr 1994 zurückgehen, um ein ähnliches Ergebnis zu sehen. Damals fielen die beiden negativen Kalenderjahre jedoch recht gering aus: mit minus 3,38 Prozent bei US-Schatzpapieren und minus 1,54 Prozent beim S&P 500. Das ist kaum der Rede wert - zu Beginn des unerwarteten Zinserhöhungszyklus der Fed lagen die zehnjährigen Treasury-Sätze bei 5,75 Prozent und stiegen bis Ende 1994 auf 8 Prozent. Die Gewinne pufferten den Ausverkauf ab.

Ein Puffer, der Anfang 2022 nicht mehr vorhanden war. In ganz Europa kam es zu einem ähnlich harten doppelten Reset. War das Jahr 2022 also ein echter Ausreißer? Oder können wir mit weiteren Ausreißern rechnen? Dazu müssen wir einen Blick auf eine der Hauptursachen werfen, die diese besondere Marktkorrektur möglich machte.

Die nach der Finanzkrise 2008 ausgeübte Politik des billigen Geldes der Zentralbanken führte zu einem unverhältnismäßig großen Ungleichgewicht zwischen finanziellen und realwirtschaftlichen Größen geführt. Die Bilanz der US-Notenbank Fed dehnte sich bis Dezember 2021 auf einen Höchststand aus, der in Summe 37,4 Prozent des US-BIP ausmachte. Diese beispiellose unkonventionelle Politik des "Quantitative Easing" führte zu einem übermäßigen Wachstum der Basisgeldmenge, die als überschüssige Bankreserven wieder auftauchte. Die Laufzeitstruktur der Zinssätze brach nach unten hin zusammen. Die Leitzinsen wurden an der Null-Linie verankert.

Die Abwicklung der First Republic Bank hat einen regionalen Bankenstress in den USA hervorgerufen und ist ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen der schrumpfenden Bankreserven. Dies kann dazu führen, dass bei den solventen Geldinstituten die Bereitschaft sinkt, regionale Banken über die Interbankenmärkte zu finanzieren. Das könnte Druck auf die Finanzierungskosten ausüben und letztlich in einem "Credit Crunch" enden.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die Inflationsbekämpfung für die Zentralbanken eher als zweitrangiges Ziel anzusehen. Die derzeit vordringlichste Aufgabe der Währungshüter dürfte stattdessen sein, ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen und für Währungsstabilität zu sorgen, die Hand in Hand mit einer stabilen Inflation geht. Ansonsten drohen der US-Dollar als weltweit führende Reservewährung und der Euro als zweitwichtigste Währung ihre Funktion als Wertaufbewahrungsmittel zu verlieren.

Die derzeit drängendste Frage ist daher nicht jene nach den aktuellen Arbeitsmarktdaten oder den Kerninflationsraten, sondern jene nach der Widerstandsfähigkeit der Wirtschaftsakteure angesichts der Veränderungen, die von der Geldpolitik ausgehen, und ihrer Überlebensfähigkeit unter anhaltend angespannten finanziellen Bedingungen. Sind sie schlecht vorbereitet, könnten ernsthafte Liquiditätsprobleme drohen.