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Der große Irrtum im Asylrecht

Von Peter Meier-Bergfeld

Gastkommentare

Auch unter Geltung der Genfer Flüchtlingskonvention ist im Asylrecht vieles machbar, wenn der politische Wille da ist. Die Konvention wird zwar sehr oft zitiert, aber nur selten gelesen.


Wann immer hierzulande in der politischen Diskussion etwas am Asyl- oder Flüchtlingsrecht restriktiv geändert werden soll, ertönt der Hinweis auf Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wie auf ein Tabu, eine unantastbare Monstranz, die da herumgetragen wird.

Vor etlichen Monaten hat Großbritannien die EMRK außer Kraft gesetzt. Verräterischerweise wurde dies in der Presse mehr oder weniger verschwiegen. Man stelle sich vor, Österreich hätte das getan! Aber tatsächlich ist eben auch unter Geltung von GFK und EMRK vieles machbar, wenn man den politischen Willen dazu hat. Die Konvention wird viel zitiert und wenig gelesen.

Ursprünglich stammt die GFK aus dem 28. Juli 1951 und galt nur für Europa, de facto für Flüchtlinge aus dem Machtbereich des Kommunismus. Da war es einfach (und diente der Propagierung westlicher Werte), großzügig zu sein. Erst am 31. Jänner 1967 wurde sie weltweit ausgedehnt. 137 Staaten haben sie ratifiziert, selbst Sudan, Iran, Kongo, Kenia, Somalia, Ex-Jugoslawien, Israel oder die Türkei.

Die GFK begründet keine Einreiserechte für Individuen, sie gewährt kein Recht auf Asyl, sie ist ein Abkommen zwischen Staaten, sie normiert - recht interpretationsfähig - das Recht im Asyl, nicht auf Asyl. Das Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft bleibt jedem Unterzeichnerstaat selbst überlassen. Natürlich (nach GFK-Artikel 1) kann ein Flüchtling zurückgeschickt werden, wenn die Umstände, aufgrund derer er anerkannt wurde, wegfallen. Die GFK findet auch keine Anwendung auf Personen, die Verbrechen begangen haben (Artikel 1f), und natürlich hat jeder Flüchtling "gegenüber dem Land, in dem er sich befindet, die Verpflichtung, Gesetze und sonstige Rechtsvorschriften sowie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getroffene Maßnahmen zu beachten" (Artikel 2). Artikel 9 verschärft das: "Keine Bestimmung dieses Abkommens hindert einen Staat (. . .) bei Vorliegen schwerwiegender und außergewöhnlicher Umstände daran, gegen eine bestimmte Person vorläufig Maßnahmen zu ergreifen, die dieser Staat für seine Sicherheit für erforderlich hält." Illegale Einreise eines Flüchtlings kann durchaus bestraft werden, nur dann nicht, wenn der Flüchtling "unmittelbar aus einem Gebiet kommt, in dem Leben oder Freiheit bedroht waren" und "vorausgesetzt, dass er sich unverzüglich bei den Behörden meldet und Gründe darlegt, die die unrechtmäßige Einreise rechtfertigen".

Es ist ebenfalls eine Legende, dass die Artikel 32 und 33 der GFK die Ausweisung jedes anerkannten Flüchtlings verböten. Diese (Artikel 32) ist "aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" möglich. Sogar, ohne dass der Flüchtling Rechtsmittel einlegen kann ("zwingende Gründe für die öffentliche Sicherheit", Artikel 32, Abs. 2).

Das angeblich absolute Ausweisungsverbot des Artikels 33 wird in dessen Absatz 2 eingeschränkt: "Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde."

Jeder Drogendealer könnte also - auch als anerkannter Flüchtling - in ein Land, in dem ihm sehr Gravierendes droht, ausgewiesen werden; auch jeder, der seine Ausweispapiere vernichtet, Pässe (ver)fälscht oder sonst wie - per schwerem Vergehen - selber Ausweisungshindernisse erzeugt. Wer wirklich ernsthaft um Leib und Leben fürchtet, und nur das ist Asylgrund, wird das auch nicht tun.

Schließlich, wie fast alle internationalen Konventionen, etwa der Atomwaffensperrvertrag in seinem Artikel 10, hat auch die GFK eine Kündigungsklausel (Artikel 44): "Jeder vertragschließende Staat kann das Abkommen jederzeit durch eine an den Generalsekretär der Vereinten Nationen zu richtende Mitteilung kündigen." Die Kündigungsfrist beträgt ein Jahr. Außerdem kann (Artikel 45) jederzeit eine Revision des Abkommens beantragt werden.

Der Autor ist Österreich-Korrespondent des "Rheinischen Merkur".