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Die gefährliche Macht der Bilder

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare
Alexander von der Decken ist außenpolitischer Redakteur in Bremen.

Der israelische Soldat Gilad Shalit ist in Freiheit - ebenso viele Palästinenser. Es folgt die Schlacht der Bilder und politisch gefärbten Glückwunschadressen.


Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu verstieg sich in lyrischen Überhöhungen, als er den leidgeprüften Eltern Gilads verkündete: "Ich bringe Euch Euren Sohn zurück." Und auch die palästinensische Hamas verklimperte sich auf der Klaviatur der Rhetorik, indem sie erneut Geiselnahmen israelischer Bürger androhte. Dies zeigt, dass die Selbstvermarktung, so verständlich sie ist, reflexartig das Handeln bestimmt. In der kurzen Freude ist das freilich verständlich, in der politischen Perspektive allerdings nicht. Denn die Zeit der Konfrontationspolitik muss vorbei sein, sie passt nicht mehr in das Zeitalter, das entlang der Arabischen Straße aufblüht und eine friedlichere Zukunft verheißt.

Die Existenz des Staates Israel ist anzuerkennen, ohne Wenn und Aber - ebenso aber auch die Existenz eines eigenen, unabhängigen Palästinenser-Staates. Über die Hauptstadt Jerusalem wird diskutiert werden müssen. Das verlangt von beiden Seiten eine hohe Kompromissbereitschaft. Aber eine Alternative gibt es nicht.

Der Machtkampf zwischen der Hamas-Führung unter Ministerpräsident Ismail Hanija und der Fatah-Führung unter Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas muss beigelegt werden. Hatte Abbas mit seiner UNO-Rede und dem Antrag eines Sitzes für Palästina gepunktet, so legte Hanija jetzt mit dem Gefangenenaustausch ordentlich nach.

Es geht dabei um die Macht - allerdings zu Lasten der palästinensischen Sache. Die Regierung Netanyahu hat Israel mit dem Gefangenenaustausch ein ganzes Stück aus der Isolation herausgeführt - zumindest psychologisch vor der Weltöffentlichkeit. Die angekündigten indirekten Friedensverhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis, die nun folgen sollen, dürfen aber nicht zu einem diplomatischen Schaulaufen im Blitzlichtgewitter der Öffentlichkeit verkommen.

Der große Wurf muss endlich her. Die Emotionalisierung um die Heimkehr des israelischen Soldaten Gilad Shalit muss in praktische Politik münden, soll das Leiden des 25-Jährigen und der tausenden in israelischen Gefängnissen einsitzenden Palästinenser einen Sinn haben. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 rund 700.000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen waren und trotz des derzeitigen Austausches schätzungsweise noch rund 5000 in Israel einsitzen.

Es ist nicht die Zeit, um vergangenes Unrecht gegeneinander aufzurechnen. Es ist vielmehr ein Gebot der politischen Vernunft, das Friedensprojekt an der Arabischen Straße mit Leben zu erfüllen. Und dazu gibt es keine Alternative. Ob die jeweiligen politischen Führungen mit ihren betonierten Denkstrukturen noch in solch eine Zukunft passen, wird sich zeigen. Die Welt erlebt derzeit eine globusumspannende Protestbewegung, die mehr Menschlichkeit in der Politik und eine Bändigung des Kapitals fordert. Warum sollten die neuen sozialen Netzwerke nicht den Frieden im Nahen Osten befeuern? Die Menschen könnten das tun, was die Politiker verweigern: aufeinander zugehen. Es ist höchste Zeit.