Der ägyptische Aufstand leidet unter der Verwirrung und der schweren Bewährungsprobe zwischen Sieg und Niederlage nach den erneuten Ausschreitungen und Massenprotesten und blutigen Kämpfen mit den Sicherheitskräften. Kurz vor den bevorstehenden Wahlen wurden alle Mühen und Anstrengungen der Demokratiebewegung zunichte gemacht.

Amer Albayati ist Islam-Experte und Mitbegründer der Initiative Liberaler Muslime Österreich (ILMÖ) und der beim Kultusamt beantragten Islamischen-Europäischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IEGÖ).
Amer Albayati ist Islam-Experte und Mitbegründer der Initiative Liberaler Muslime Österreich (ILMÖ) und der beim Kultusamt beantragten Islamischen-Europäischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IEGÖ).

Nach der Ära des Diktators Hosni Mubarak wollte das Militär mit Billigung der USA und Segnung der Muslimbruderschaft eine Machtteilung wie in Pakistan. In der Praxis bedeutet dies, dass das Militär seine Macht und politische Vormachtstellung behält und den Islamisten mit den anderen Parteien das Parlament im Rahmen einer Scheindemokratie überlassen wird.

Die jüngsten Demonstrationen in Kairo zeigen, dass die Islamisten die Religion für ihre eigenen politischen Zwecke nutzen wollen und bereit sind, mit jedem zusammenzuarbeiten, der Ihren Zielen nützlich ist.

Die Muslimbruderschaft ist vordergründig vorerst einmal mit dieser Machteilung einverstanden. Sie war früher im Parlament durch einzelne Personen vertreten und will jetzt durch die Wahlen als Partei vertreten sein. Das Militär will sich als Hüter der Sicherheit präsentieren, die Islamisten wollen ihre Fähigkeit beweisen. Keiner will für die jetzige Eskalation und die brisante explosive Lage verantwortlich sein.

Die anderen Parteien haben es doppelt schwer, weil sie nicht die breiten Massen und das Geld haben wie die Muslimbruderschaft. Diese hat in den Moscheen politisch gearbeitet, während die anderen Parteien meistens verboten waren oder ihr Wirken eingeschränkt war.

Am 18. November demonstrierte die Muslimbruderschaft und versuchte auf dem Tahrir-Platz, ihre Stärke zu zeigen und Propaganda für die Parlamentswahlen zu betreiben.

Die ursprünglich parteilosen demokratiehungrigen Aktivisten und jungen Menschen sind zwischen die Fronten geraten - und in der Folge am 19. November auf die Straße gegangen. Mubaraks Anhänger haben sich als Störfaktor unter die Demonstranten gemischt und auch Gewalt ausgeübt.

Die friedlichen Demonstranten wollten den regierenden Militärrat zwingen, die Verantwortung an eine zivile Regierung zu übergeben. Die Sicherheitskräfte haben eine Eskalation provoziert, sodass geschossen wurde. Das Militär versuchte angeblich, neutral zu bleiben, und stellte sich zwischen die Sicherheitskräfte und Demonstranten. Es wollte diese Situation ausnutzen, gegenüber der Bevölkerung seine Macht demonstrieren und sich kurz vor den Wahlen als Retter und Sieger darstellen.

Alle Beteiligten schieben die Schuld an der Eskalation auf Dritte - die niemand kennt oder keiner nennen will. Dadurch ist Ägypten von einer Krise in ein langwieriges Dilemma geraten.

Nach den Wahlen werden die Ägypter ihre Geschichte verarbeiten und dafür sorgen müssen, dass Freiheiten und Demokratie für alle Ägypter auch in der Zukunft gesichert sind. Der ägyptische Frühling darf nicht zum raureifen Herbst werden. Der ägyptische Aufstand wäre in diesem Fall am Ende umsonst gewesen.