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Von Christoph Schönborn lernen

Von Martin Ploderer

Gastkommentare
Martin Ploderer ist freier Kulturschaffender und Schauspieler.
© © Nisa & Ulli Maier

Mit seiner Entscheidung im Fall Stützenhofen setzte sich Wiens Erzbischof zwischen die Stühle - und zeigte zugleich den Kern der Frohbotschaft auf.


Ein roter Faden zieht sich durch die Debatten um Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche, die "Pfarrerinitiative" und die Wahl eines in einer eingetragenen homosexuellen Partnerschaft lebenden Pfarrgemeinderats: In allen Fällen stehen einander zwei bis drei Gruppen gegenüber, die der jeweils anderen böse Absichten unterstellen, bis hin zum bewusst herbeigeführten Untergang der Kirche. Der Teufel aber, das weiß man eigentlich in dieser Kirche, ist stets der Ankläger.

Die Kirchengegner reiben sich genüsslich die Hände und zeigen auf diesen "scheinheiligen Haufen", der einerseits weltfremde Werte predige und sich andererseits nicht anders verhalte als der Rest der Welt. Es gibt die "Legalisten", deren Weg ins Himmelreich mit dem zuweilen gedankenlosen Einhalten von Gesetzen und Vorschriften gepflastert scheint. Sie empören sich über jene, die sich vermeintlich leichtfertig über Gottes Willen - oder was sie dafür halten - hinwegsetzen. Dann gibt es die "Liberalen" und "Reformatoren", die meinen, die Kirche müsse sich der Zeit und deren Geist - möglichst nach "demokratischen", also basisgeleiteten Maßstäben - anpassen. Sie empören sich über die "Ewiggestrigen", die ihre Verantwortung an der Pforte des blinden Gehorsams abgegeben hätten.

Sie alle wollen recht haben und Andersdenkende verurteilen können. Ich weiß nicht, wie man sich als Christ in auch nur einer dieser Gruppen wohlfühlen kann.

Die Entscheidung des Wiener Erzbischofs im Fall Stützenhofen ist bemerkenswert und möglicherweise sogar richtungsweisend. Er hat sich damit wohl einerseits nicht nur beliebt gemacht und andererseits Zustimmung bekommen, die einem Missverständnis entspringen dürfte. Er setzte sich sozusagen zwischen die Stühle - was ja auch Jesus oft tat. Ohne die Lehre der Kirche in Frage zu stellen oder auch nur abzuschwächen, traf Christoph Schönborn in einem konkreten Fall für einen konkreten Menschen eine konkrete Entscheidung, die von den Regeln abzuweichen scheint. Und die in ihrer tieferen Begründung in unserer dem Gleichheitswahn verfallenen Gesellschaft auf Unverständnis stoßen muss. Doch die Botschaft des Evangeliums liegt genau darin: Leben entfaltet sich im Spannungsfeld zwischen als Hilfe gedachten Regeln und der Unfähigkeit, diese einzuhalten. Wobei nicht zu leugnen ist, dass die Missachtung mancher Regeln zuweilen wertvolle Erkenntnisse bringt, die auch den Regeltreuen zugute kommen . . .

Woran soll man sich nun halten, fragen die einen, wenn alles erlaubt ist? Endlich werden die alten Zöpfe angeschnitten, meinen die anderen.

Ich denke, beide irren. Gesetze und Gebote sind Spielregeln, die einen Rahmen abstecken, in dem sich das Leben in Freiheit entfalten soll. Sie erfüllen ihren Zweck, wenn sie dem Leben dienen, und usurpieren eine ihnen nicht zustehende Macht, wenn sie als absolute Wahrheit verkauft werden. Wahr ist erst das Leben, das sie ermöglichen.

Die Frohbotschaft ist eben kein sanktionierendes Gesetzeswerk, sondern "nur" eine Anleitung zum freien, selbstbestimmten und selbstverantworteten Leben. Eine durchaus hoffnungsträchtige Botschaft!