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Das Tuten und Blasen der Nationen

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.

Die Hymnen, feierlich zu den Matches der Fußball-EM intoniert, wollen Blut sehen. Noch haben die Kicker nichts davon wörtlich genommen.


Wer da behauptet, die Europameisterschaft der Balltreter sei lediglich ein sportliches Ereignis, der unterschätzt die Wirkung der Nationalhymnen bis hinein in den Strafraum. Zwar konnte der Einfluss von Musik auf die menschliche Psyche trotz intensiver Forschung nicht restlos geklärt werden. Fakt ist aber: Bei Schubert liebt und weint es sich am schönsten, Mozart macht fröhlich, Bach sorgt fürs Sakrale, Beethoven erhebt, Wagner reduziert den Zuhörer zum Zwerg, und zur Internationalen würde man am liebsten die Auslagen am Wiener Kohlmarkt beschmieren.

Umso lohnender ist eine nähere Betrachtung der Hymnen und ihrer Wirkung auf die jeweiligen Spieler. Da wäre etwa das "God save the Queen": Trotz des monotonen Gegröles der englischen Fans vermisste man eine besondere Wirkung auf die Spieler im Viertelfinale gegen Italien. Mag sein, dass es an der Nonchalance der Melodie lag - immerhin wurde sie von einem kroatischen Wiegenlied requiriert, so die Forschung. Und der Text ist auch kaum dazu angetan, Höchstleistungen abzurufen. Sieben kurze Zeilen, von denen gleich vier auf "Queen" enden. Kein Wunder, dass nur drei von fünf Elfmeterschüssen den Weg ins italienische Tor fanden.

Und Italiens Hymne? Voll Inbrunst, mit geschlossenen Augen, heftigem Pulsschlag und vor Eifer feucht gewordener Aussprache sang sie ihr Keeper Gianluigi Buffon. Man spürte förmlich die Kraft, die via Melodie in ihn eindrang. Was aber begeisterte die Squadra Azzurra bis zum Aufschrei? Dazu ein Zitat aus der ersten Strophe:

"Brüder Italiens, Italien hat sich erhoben . . . Wo ist die Siegesgöttin?Sie möge Italien ihr Haupt zuneigen, Denn als eine Sklavin Roms hat Gott sie geschaffen."

Den martialischen Höhepunkt bildet der Refrain zur dritten Strophe:

"Der österreichische Adler hat schon die Federn verloren. Das Blut Italiens, das Blut Polens hat er getrunken, aber sein Herz ist verbrannt."

Vielleicht liegt es also gar nicht am Unvermögen unserer Kicker, wenn sie gegen die Azzurri verlieren, sondern an der Beschaulichkeit des Textes ihrer Hymne. Andererseits: Nicht auszudenken, in welchen literarischen Mistkübel heimische Verfechter der Political Correctness einen Cantus schmissen, der nicht nur große Töchter unerwähnt ließe, sondern auch noch eine Göttin als Sklavin in die Pflicht nähme.

Schlimm ist dies alles für die Deutschen. Denn Italiens Schlachtruf haben sie mit ihrem Lied über Einigkeit und Recht und Freiheit nichts entgegenzusetzen. Doch nicht allen hat das Kriegsgeschrei in ihren Hymnen geholfen. Die Franzosen etwa sind ausgeschieden. Dabei hat es der Refrain ihrer Marseillaise faustdick unter den Noten:

"Zu den Waffen, Bürger! Formiert Eure Bataillone, vorwärts marschieren wir! Damit unreines Blut unserer Äcker Furchen tränke!"

Wäre es da nicht politisch korrekter und auch sportlich fairer, für uns alle einfach nur Beethovens/Schillers Ode an die Freude zu singen? Lieber nicht. Kaum auszudenken, wie es sich anhörte, nähmen Fußballfans den schönen Götterfunken in den Mund. Da schon lieber Blut in die Äcker gießen.