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Unter dem Deckmantel der Menschenrechte

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter.

Der Vergleich der Entwicklungen in Arabien mit der Situation im Kalten Krieg zeigt, mit welchen Mitteln der Westen Feindbilder konstruiert.


Schon in den ältesten Religionen der Menschheit ist der Gegensatz zwischen Gut und Böse verankert, der sich wie ein roter Faden durch die Reden von Politikern und den alltagspolitischen Diskurs in den Medien zieht. Und das nicht erst seit dem Auftritt des früheren US-Präsidenten George W. Bush unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September 2001, als er von der "Achse des Bösen" sprach. Auch im Chaos des Arabischen Frühlings kommt sie wieder zum Tragen: die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, also zwischen jenen Gruppen, die für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen, und jenen, die mit Gewalt am alten System festhalten wollen.

Wie schmal der Grat zwischen politischer Freundschaft und Feindschaft ist, zeigt, dass westliche Regierungen Zine el-Abidine Ben Ali, Hosni Mubarak, Muammar Gaddafi und Bashar al-Assad erst mit offenen Armen empfingen und wenig später deren Rücktritt forderten. Bedenklich werden die Machtspiele allerdings dann, wenn UNO und internationale Menschenrechtsorganisationen an der Polarisierung zwischen "bösen Regierungstreuen" und "guten oppositionellen Kräften" mitwirken und über Menschenrechtsverletzungen der jeweils anderen Seite getrost hinwegsehen.

Der Vergleich der Entwicklungen in Arabien mit der Situation im Kalten Krieg lohnt sich, weil sich damit sehr gut aufzeigen lässt, mit welchen Mitteln der Westen Feindbilder konstruiert, um militärische Interventionen - damals in Korea und Vietnam, heute in Libyen und wohl bald in Syrien - zu rechtfertigen. Waren während des Kalten Krieges noch die ideologische und ökonomische Unvereinbarkeit der kapitalistischen und kommunistischen Systeme sowie die Eindämmungspolitik maßgeblich, so berufen sich westliche Machthaber heute immer häufiger auf die Wahrung beziehungsweise Verletzung der Menschenrechte.

Das plötzliche Interesse der USA und Europas an der Menschenrechtslage im Arabien ist zwar sehr lobenswert. Gleichzeitig verlieren jedoch sowohl die Vereinten Nationen als auch andere internationale humanitäre Organisationen immer mehr an Glaubwürdigkeit, wenn Berichte ans Tageslicht kommen, in denen von Einschüchterungen, Entführungen, Folter und Misshandlungen von Zivilisten durch jene "guten" Oppositionellen die Rede ist. Einmal abgesehen von den unkontrollierten Waffenlieferungen durch die Golfstaaten und den erst neulich in arabischen Zeitungen veröffentlichten Berichten über Bestechungsversuche katarischer Diplomaten, um einen Rücktritt syrischer Regierungskräfte zu erzwingen.

Zurzeit gilt in Syrien das Kriegs- und Humanitätsrecht für einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, das den uneingeschränkten Schutz von Zivilisten sowie die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechern vorsieht. Doch auch hier stellt sich die Frage, wer im Chaos eines Bürgerkriegs die Unversehrtheit von Zivilisten garantiert, denen von radikal oppositionellen Kräften beispielsweise Regierungstreue vorgeworfen wird. Eine hohe Priorität scheint die Lösung dieses Problems gerade jedenfalls nicht zu haben.