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Das Hängematten-Syndrom

Von Franz Witzeling

Gastkommentare
Franz Witzeling ist Psychologe und Soziolge.

Die Politik besinnt sich langsam neben der Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme auch auf die soziale Befindlichkeit der Menschen.


Ist der Mechanismus, persönlichen Mehrwert aus sozialisierter Minderwertigkeit zu schöpfen, nur ein österreichisches Phänomen? In Deutschland heißt es Hartz IV, bei uns Mindestsicherung. Europaweit ist die soziale Sicherung das Thema. In der Realität ist es in Europa nicht erst seit der Krise sehr kalt geworden, was das Verständnis für Armut, Schicksalsschläge und Toleranz weniger Privilegierter betrifft. Wenn man sich Talkshows mit Hartz-IV-Empfängern und diverse TV-Soaps mit Schauspielern, die Arbeitssuchende mimen, anschaut, kommt man zum Schluss: Das schlägt dem Fass den Boden aus, indem uns unterhalten wollend der Spiegel vorgehalten wird. Aber so wird sich jeder fragen, der sich ernsthaft Sorgen über die Zukunft unserer Jugend macht, wo denn wirklich der Hund begraben ist beziehungsweise die soziale Schieflage in unserer Gesellschaft liegt.

In der Europäischen Gemeinschaft, die immer weiter auseinanderzudriften droht, kommt die Politik langsam drauf, dass neben der Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme auch die soziale Befindlichkeit der Menschen ins Bewusstsein der Verantwortlichen dringen muss. Maßnahmen sind dringend nötig, um die brennende Lunte, die zum sozialen Pulverfass führt, noch auszutreten. All das passiert viel zu langsam, in vielen Ländern der EU scheint die Würde der Menschen mit Füßen getreten zu werden.

Soziale und Verteilungsgerechtigkeit stehen im direkten Zusammenhang, resümieren die meisten Sozialforscher, die sich mit den aus der sozialen Schieflage resultierenden Konflikten und Spannungen auseinandergesetzt haben. Neben dem politischen Lösungsansatz, die offensichtliche Kluft zwischen Reich und Arm human zu überbrücken, damit zumindest eine Fairness und Chancengleichheit besteht, dass es jeder, der Leistung einbringt, auch zu Wohlstand bringen kann, muss man die individuellen Voraussetzungen beleuchten, die Leistung und Wertschöpfung erst ermöglichen.

Auf dem Weg und auf der Suche nach beruflichem und gesellschaftlichem Erfolg kommen viele an eine die Zukunft entscheidende Wegkreuzung. Dort führt in die eine Richtung ein steiniger Weg zur Suche nach persönlicher und beruflicher Karriere; in die andere Richtung führt ein verführerischer und leichterer Weg zur Suche nach Konsumgütern, die gleich einer Sucht eine rasche Befriedigung bringen, aber gleichzeitig lang andauernde Abhängigkeit mental und finanziell nach sich ziehen.

Unsere wachstumsorientierte Gesellschaft kennt die Konsolidierung der inneren Haltung, was Reifung und persönliche Qualität bedeutet, nicht. Globale, soziale und wirtschaftliche Grenzen sind längst überschritten. Das Ignorieren dieser Tatsache brachte uns Katastrophen, soziale Spannungen und Unruhen. Die viel zitierte und kritisierte soziale Hängematte wird für die betroffenen Bezieher von Sozialleistungen zum sozialen Spinnennetz, aus dem sie nur schwer entkommen, um wieder Selbständigkeit zu erlangen. Die Phasen für eine stabile individuelle, aber auch gesellschaftliche Entwicklung sind Wachstum, Reifung und Festigung.