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SPD und Grüne verschießen ihr Pulver an der falschen Front

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.

Mit einem abstrusen Krieg der Worte gegen Washington verplempern Peer Steinbrück und Co. wertvolle Wahlkampfwochen und die letzte Chance.


Kaum zu fassen: In fünf Wochen geht es in Deutschland um die Frage, wer das Land regieren darf, doch die oppositionellen Roten und Grünen verbrauchen ihre letzten Reserven im verbalen Dauerbeschuss Washingtons. Dass dem deutschen Volk das vom Verräter Edward Snowden preisgegebene Mithören und Mitlesen der NSA und ihrer ausgelagerten US-Nachrichtenbeschaffer ziemlich schnuppe ist, wird übergangen. Und verdrängt werden die Themen, die ursprünglich als wahlentscheidend ausgemacht wurden.

Und da gab es eine Menge. Etwa Angela Merkels Gesundheitsreform. Ihretwegen können sich Krankenkassen auf drei Milliarden Euro Überschuss zurücklehnen, während Ärzte immer wieder Patienten abweisen müssen, weil das vorgegebene Quartalskontingent aufgebraucht ist.

Weiters gäbe es da die Merkelsche Mindestlohnverweigerung. Ihretwegen müssen sechs Millionen Beschäftigten zusehen, wie sie von einem Stundenlohn zwischen 3,50 und 5 Euro leben können. Angeprangert werden sollte auch die Merkelsche Finanz- und Steuerpolitik. Sie führte dazu, dass sich das Vermögen der Reichen neuerdings auf zwei Billionen Euro verdoppelt hat, während an die 20 Millionen Deutsche in eine existenzbedrohende Schuldenfalle geschlittert sind oder kurz davor stehen. Dazu passt, dass die Kanzlerin an einer Reichen- und Vermögenssteuer von 0,9 Prozent festhält, statt geradezubiegen, was geradegebogen gehört. Als Vergleich: EU-Schnitt 2,1 Prozent, Großbritannien 4,2 Prozent. Selbst die sozial nicht gerade überschwänglichen USA verlangen von ihren Reichen 3,2 Prozent (allerdings: Maria Fekter besteht im Vergleich dazu auf unerträglichen 0 Prozent).

Angesichts solcher Politik hielten es Kenner zunächst für durchaus möglich, dass SPD und Grüne trotz überlegener Popularitätswerte des "Mädles" (Helmut Kohl) am Ende das Rennen machen könnten. Damit scheint es aber nun endgültig vorbei. Die wirklich entscheidenden Wahlkampftage sind verplempert. Alles Bemühen, den Casus Snowden zu einem elektronischen Versailles hochzuspielen, haben nichts gebracht. Und jetzt badet Deutschland erst einmal irgendwo zwischen Adria, Canaria, Rügen oder Süden. Und wenn der Ernst des Lebens in allen 16 Bundesländern wieder einsetzt, ist schon beinahe Wahltag.

Sollte sich aber vor dem 22. September tatsächlich noch jemand der eigentlichen Wahlkampfthemen annehmen, bräuchte Merkel nur, wie gehabt, einen Minister nach Washington zu schicken. Der würde dort, wie gehabt, abblitzen, und die Medien würden, wie gehabt, die USA prügeln. Schon hätte Merkel auch die letzten Stunden des Wahlkampfs überstanden. Jüngste Zahlen zeigen nochmals: 70 Prozent der deutschen Wähler lässt das US-Datenabsaugen kalt. Erstaunlich nur, dass ausgerechnet ein politisches Urgestein vom Format Peer Steinbrücks als SPD-Kanzlerkandidat zu den Scheubeklappten gehört und dieses Halali der Verblendung mitmacht, ja an-
führt. Bei seinem Promoter Helmut Schmidt ("Steinbrück kann es") müssten indes Zweifel am eigenen Urteilsvermögen aufkommen.