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Das ewige Leid mit der Schule

Von Franz Schausberger

Gastkommentare
Franz Schausberger, Universitätsdozent für Neuere Österreichische Geschichte, ehemaliger Landeshauptmann von Salzburg.

Wie die Zeiten sich gleichen: 1926 scheiterte die Regierung an einem Kompromiss zur Schulreform.


Wie fast immer seit Bestehen der Republik, wenn man versuchte, Schulreformen durchzuführen, übernehmen ideologische Frontkämpfer das Szepter. Das ist heute - Stichwort "Verländerung" der Lehrer - nicht anders als 1926, als ein Kompromiss mit den Sozialdemokraten den christlichsozialen Unterrichtsminister Emil Schneider zu Fall brachte und Leopold Kunschak zum Rücktritt als Wiener Parteichef zwang.

Wenige Tage, nachdem Bundeskanzler Rudolf Ramek aus Genf von der Völkerbundtagung mit dem ersehnten Erfolg der endgültigen Aufhebung der Finanzkontrolle in Österreich zurückgekehrt war, stürzte das Land wegen eines umstrittenen Schulkompromisses von Unterrichtsminister Schneider in eine politische Krise. Dieser hatte in Abwesenheit Rameks Verhandlungen mit den Sozialdemokraten geführt und Vereinbarungen getroffen. Seit 1922 kam es in der Schulpolitik zu einem sich immer mehr verschärfenden Konflikt zwischen dem sozialdemokratischen Wiener Schulratspräsidenten Otto Glöckel und den christlichsozialen Unterrichtsministern. Die von Glöckel in seiner Zeit als Unterstaatssekretär eingeleiteten Reformen führte er in Wien probeweise weiter. 1926 liefen die Probezeiten des neuen Volksschullehrplanes und der Allgemeinen Mittelschule aus. Glöckel wollte die Schulversuche verlängern. Dies provozierte im Gegenzug den aus Vorarlberg stammenden Unterrichtsminister Schneider.

Als Glöckel am 31. Mai bekanntgab, dass die Mittelschulreform entschieden sei und ein gemeinsamer vierklassiger Unterbau eingeführt werde, konterte der Minister, dass die Verhandlungen noch keinesfalls abgeschlossen seien, die Reformen für das ganze Bundesgebiet gelten und von allen Landesschulräten akzeptiert werden müssten. Es gäbe zwar Zugeständnisse, aber keine Vereinbarungen. Bei einer Länderkonferenz der Regierung lehnten die Landeshauptmänner die Schulreformen nach Wiener Muster ab. Die Einheitlichkeit des Mittelschulwesens müsse garantiert sein, an den bisherigen Schultypen festgehalten werden. Am 1. Juni 1926 erließ das Ministerium den Lehrplan für die erste bis fünfte Schulstufe der Volksschulen. In den Lehrplan wurde auch das Ergebnis einer Umfrage unter Lehrern, Bezirks- und Landesschulräten eingearbeitet. Damit schien eine fast sechs Jahre dauernde Auseinandersetzung beendet. Der neue Lehrplan stieß aber auf Widerstand Glöckels. Neuerliche Verhandlungen folgten. Eine Einigung gab es nicht, allerdings einige Kompromissvorschläge. Da die Position des Unterrichtsministers durch die notwendige Zweidrittelmehrheit und die föderalistische Organisation des Schulwesens nahezu aussichtslos war, musste ein "Schulkompromiss" mit den Wiener Sozialdemokraten gefunden werden. Diese forderten für Wien und alle Städte mit autonomem Statut eine Volksschulerziehung nach dem Lehrplan des sozialdemokratischen Schulexperten Viktor Fadrus. In den übrigen Gemeinden sollte ein Lehrplan eines christlichsozialen Experten gelten. Auch wenn damit das einheitliche Volksschulwesen drohte, auseinandergerissen zu werden, ging Schneider darauf und auf einige sozialdemokratische Vorstellungen ein. Allerdings fehlte die Zustimmung der Landesschulräte. Heftige Proteste gegen den Kompromiss erhoben sich aus kirchlichen und christlichsozialen Kreisen.

Mit dieser Situation wurde Bundeskanzler Ramek, der am 11. Juni 1926 aus Genf nach Wien zurückkehrte, konfrontiert. Der Abschluss des Kompromisses, ohne den Kanzler und den Koalitionspartner zu informieren, widersprach den Regierungsvereinbarungen zwischen Christlichsozialen und Großdeutschen. Um den Bestand der Koalition zu retten, erklärte Ramek, dass er die Vorgangsweise seines Unterrichtsministers ablehne. Schneider wurde der Rücktritt nahegelegt, was er auch befolgte. Der Kompromiss war damit hinfällig. Sogar Neuwahlen wurden nicht ausgeschlossen.

In der Sitzung des Nationalrates am 17. Juni kam es zu Angriffen der Sozialdemokraten gegen Ramek, den sie bisher eher geschont und als Mann der Versöhnung angesehen hatten. Es kam zu Tumulten, die Sitzung musste unterbrochen und schließlich vertagt werden. Neuer Unterrichtsminister wurde der steirische Landeshauptmann Anton Rintelen. Weil er am Kompromiss mit den Sozialdemokraten mitgewirkt hatte, "da er einen auf dem Rücken der Schulkinder auszutragenden Kulturkampf vermeiden wollte", trat auch Leopold Kunschak als Obmann der Wiener Christlichsozialen zurück. Eine Massendemonstration der Sozialdemokraten in Wien am 18. Juni verlief ruhig. Am 29. Juli 1926 wurde der Volksschullehrplan schließlich vom neuen Unterrichtsminister, ohne vollständiges Einvernehmen mit den Sozialdemokraten, erlassen. Der Schulkonflikt hatte der Regierung stark zugesetzt, dem Kanzler entglitt zunehmend die Führung. Bereits in den ersten Augusttagen gab es Meldungen über den bevorstehenden Rücktritt der Regierung. Damit erwies sich der Schulkonflikt als Anfang vom Ende einer durchaus konsensorientierten und erfolgreichen Regierung. Schließlich führten die Zentralbankaffäre Ende August und die Streikdrohungen der Beamten zum Rücktritt der Regierung Ramek am 15. Oktober 1926. Ignaz Seipel trat wieder an die Spitze der Regierung.