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Was ist das Gegenteil von Liebe?

Von Matthias Strolz

Gastkommentare
Matthias Strolz ist Klubobmann der Neos.

Eine Gemeinschaft aus 28 Staaten braucht laufende Auseinandersetzung und Austausch, um sich abzustimmen und weiterzuentwickeln.


Es war die erste Woche des Intensivwahlkampfs zu den Europawahlen: Die SPÖ schwang rote Fahnen am Rathausplatz, die FPÖ füllte ein Bierzelt mit EU-Bashing und Grüne sowie ÖVP legten sich auf Neos als wichtigstes Wahlkampfthema fest.

Auch wir Pinken feierten Wahlauftakt - gemeinsam mit unseren Schwesterparteien aus den anderen 27 EU-Ländern. Wir sind in Europa daheim, und es war für unsere junge Bewegung eine große Auszeichnung, den gesamteuropäischen Auftakt in Wien zu veranstalten. "Once a lifetime", weil das nächste Mal sind wir rechnerisch erst wieder im Jahr 2154 dran (28 Länder; alle fünf Jahre ein Auftakt). Da bin ich voraussichtlich nicht mehr Neos-Vorsitzender.

Wir empfingen unsere Schwesterparteien mit dem Slogan "We love Europe". Das war für manche Besucherinnen und Besucher überraschend. Traditionell glauben ja liberale Parteien, mit drei intellektuellen Argumenten den Rechtspopulisten Paroli bieten zu können. Natürlich bin ich ein Fan intellektueller Redlichkeit. Diesen Maßstab wollen wir nie verwerfen. Und hier eint uns in der Familie der Liberalen und Demokraten (ALDE; drittgrößten Fraktion im EU-Parlament) das Bekenntnis, dass "mehr Europa" ein Teil der Lösung ist, nicht ein Teil des Problems. Darüber hinaus sind wir Neos jedoch der Überzeugung, dass Politik auch Emotion braucht. Und wo andere mit negativen Emotionen Tempo machen, da halten wir positive Emotionen entgegen.

Ja, wir lieben Europa! Wir sind in einer Beziehung mit Europa. Es ist keine blinde, es ist eine reife Liebe. Da zwickt es auch gelegentlich. In unserer Grundbefindlichkeit sind wir jedoch unerschütterlich. Denn was ist das Gegenteil von Liebe? Hass, werden jetzt manche denken. Aber nein. Hass ist eine Form der inversen Liebe. Sie brennt ebenfalls, jedoch negativ. Das unspektakuläre Gegenteil von Liebe, das ist die Gleichgültigkeit. Und die natürliche Konsequenz von Gleichgültigkeit ist: Verfall, Verwahrlosung. Stellen Sie sich eine Partnerschaft vor, wo die Liebe komplett erloschen ist. Sie würde verwahrlosen und früher oder später auseinanderbrechen.

Eine Gemeinschaft aus 28 Staaten braucht laufende Auseinandersetzung und Austausch, um sich abzustimmen und weiter zu entwickeln. Wir wollen an dieser Beziehung mit Europa arbeiten. Hart arbeiten. Ernsthafte Beziehungsarbeit ist aufwendig, bringt gelegentlich Konflikte, hat Potenzial auf pralle Früchte. Wir wollen die Zusammenarbeit auf unserem Kontinent vertiefen. Dort wo mehr Europa gefragt ist, soll es mehr Europa geben. Und dafür soll sich die Union von Nebenschauplätzen zurückziehen. Wichtiger als die gemeinsame Glühbirne ist uns die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, eine gemeinsame Asylpolitik und eine gemeinsam akkordierte Wirtschaftspolitik.

Europa, das ist eine Schicksalsgemeinschaft. Wir sind über 500 Millionen Menschen auf engem Raum. Wenn hier eine Hütte brennt, dann fackelt das Nachbarhaus recht verlässlich auch mit ab. Das haben wir über Jahrhunderte vorexerziert, zuletzt vor ein paar Jahren am Balkan. Wir können und wir sollten daher viel mehr sein als eine Schicksalsgemeinschaft. Wir können eine CHANCENgemeinschaft sein! Das ist nicht naturgegeben. Dafür müssen wir uns bewusst entscheiden.