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Keine Schlafwandler, sondern Architekten

Von Stephen Salyer

Gastkommentare
Stephen Salyer ist Präsident des Salzburg Global Seminar (Salzburg/Washington), das bis 29. August im Schloss Leopoldskron in Salzburg die Veranstaltungsreiche "1814, 1914, 2014: Lessons from the Past, Visions for the Future" abhält.

1814, 1914, 2014: Lehren aus der Vergangenheit, Visionen für die Zukunft.


2014 ist nicht nur der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 100 Jahre her, sondern auch der Wiener Kongress begann vor genau 200 Jahren. Damals waren die europäischen Mächte die Architekten eines neuen internationalen Systems, das Europa nach 25 Jahren Krieg wiederaufbaute. Die Akteure von 1914, treffend beschrieben als "Schlafwandler", stolperten nach 100 Jahren Frieden in den Krieg.

Braucht die Welt deswegen eine weitere Katastrophe - oder zumindest deren Androhung -, um sich als Architekten statt als Schlafwandler zu verhalten? Führungspersönlichkeiten müssen heute mit komplexen und rasch verändernden Herausforderungen umgehen. Noch vor einem Jahr wären die russische Krim-Annexion und der Krieg in der Ukraine undenkbar gewesen; genauso wie die Herren Bush, Blair und andere 2003 nicht erwartet hätten, dass große Teile des Irak zehn Jahre später fest im Griff des "Islamischen Staats" sein würden.

Der Mittlere Osten wirkte bis jetzt wie 1848, als die Revolutionen des Völkerfrühlings lange anhaltende Nachwirkungen auf die betroffenen Nationen hatten. Weder verbreiteten sich damals die Revolutionen auf alle Länder Europas, noch gab es interregionale Konflikte oder wurden externe Kräfte miteinbezogen.

Jetzt aber, wo die USA wieder militärische Operationen im Irak durchführen und Konflikte in Syrien sowie im weiter entfernten Afghanistan brodeln, könnte man die Situation fast mit 1914 vergleichen, als ein anfangs lokaler Konflikt die Großmächte in den Krieg hineinzog.

Parallelen können auch zum Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer gezogen werden, wo die Aktionen Japans und Chinas die USA zum Handeln zwingen könnten und so die regionalen Spannungen nur noch erhöhen würden.

Abgesehen von den Möglichkeiten der Fehleinschätzung und Allianzen, die Kriege nach sich ziehen, wartet noch eine weitere gewaltige Katastrophe, auf die wir scheinbar wie im Schlaf zugehen: der Klimawandel.

In diesem Bereich brauchen wir unbedingt Architekten, die Bedrohungen artikulieren und ihre Mitbürger überreden können, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, viel größere und kreativere Maßnahmen zu verlangen, um die von der UNO befürchteten 200 Millionen Klima-Flüchtlinge bis 2050 zu vermeiden. Ganz abgesehen von drohenden globalen Gesundheitskrisen, Hungersnöten und Wasserknappheiten.

Während die Instabilität 2014 wächst, ist die Frage berechtigt, wie die Geschichte uns helfen kann, mit aufkommenden Gefahren umzugehen und das Risiko künftiger Konflikte zu reduzieren. Welche Lehren aus der Vergangenheit können uns helfen, das öffentliche Vertrauen in das internationale System wieder zu stärken und unsere Entscheidungsträger zu Lösungen zu drängen?

Diese Woche veranstalten das Salzburg Global Seminar und das International Peace Institute ein hochkarätiges Treffen mit internationalen Persönlichkeiten aus Politik, Diplomatie, Militär und Wirtschaft sowie Historikern, Politologen und Schriftstellern. Gemeinsam suchen wir Lehren aus der Vergangenheit, um eine Vision der Zukunft zu beschreiben - eine, die Historiker im Jahr 2114 zu der Schlussfolgerung führen könnte, dass die heutigen Entscheidungsträger Architekten und nicht Schlafwandler waren.