Zum Hauptinhalt springen

Lahme Ente der Geschichte

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Die westlichen Demokratien stehen ihren neuen Gegnern im Süden und Osten schwach, ratlos und ohne Plan gegenüber.


Genau 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges und dem weitgehenden Verschwinden des Kommunismus stehen die liberalen westlichen Demokratien, damals scheinbar die Sieger im Krieg der Systeme, nun vor den Scherben ihres Triumphes. Den beiden großen geopolitischen Herausforderungen, dem sich radikalisierenden Islam im Süden und dem neuen russischen Imperialismus im Osten, stehen sie erschreckend ratlos gegenüber, erscheinen so schwach wie noch nie seit dem Ende des Weltkrieges und müssen sich von ihren Antagonisten als hilflose Weicheier vorführen lassen. Im Islamischen Staat köpfen hasserfüllte Gotteskrieger westliche Staatsbürger vor laufender Kamera, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, während Russlands Präsident Wladimir Putin maliziös höhnt: "Viele euroatlantische Länder (. . .) verleugnen ihre moralischen Prinzipien und alle traditionellen Identitäten: nationale, kulturelle, religiöse und sogar sexuelle. Sie machen eine Politik, die große Familien gleichstellt mit homosexuellen Partnerschaften, den Glauben an Gott mit dem Glauben an den Teufel."

Dass den westlichen Demokratien, wirtschaftlich immerhin noch doppelt so potent wie Russland und China zusammengenommen, derart wenig Respekt entgegengebracht wird und ihr Einfluss aufs Weltgeschehen entsprechend rapide abnimmt, ist freilich weitgehend eigenem Versagen geschuldet.

Da sind einmal die riesigen Schuldenberge, die der Westen in den vergangenen Jahrzehnten ohne wirklich Not aufgetürmt hat - allein in den USA wurde unter Präsident Barack Obama so viel an Staatsschulden aufgenommen wie unter allen 43 Vorgängern zusammen; in Europa sieht es nicht besser aus, einzelnen EU-Mitgliedern musste der IWF zu Hilfe eilen, als handelte es sich um afrikanische Elendsstaaten. Der Westen taumelt in Wahrheit nahe an der Pleite dahin, was seine Fähigkeit, seine Interessen durchzusetzen, nicht eben stärkt und der Attraktivität des westlichen Gesellschaftssystems wenig dienlich ist.

Damit hängt indirekt zusammen, dass die Fähigkeit westlicher Demokratien, im Notfall militärisch gegen ihre Antagonisten vorzugehen, auch nicht eben sehr robust dimensioniert ist. Von kostspieligen, gescheiterten Engagements in Afghanistan und im Irak zermürbt, von kontraproduktiven Interventionen im vermeintlichen Arabischen Frühling verwirrt, erscheinen EU und USA äußerst unwillig, sich abermals auf Waffengänge einzulassen; selbst dort, wo sie allenfalls wirklich geboten erschienen. Dass Obama Syriens Diktator erst eine rote Linie zeichnete, deren Überschreiten er dann achselzuckend und konsequenzlos zur Kenntnis nahm, war wenig hilfreich. Daher ist fraglich, ob die Nato einer allfälligen militärischen Intervention Russlands im Baltikum nach dem Muster der Ostukraine tatsächlich so militärisch entgegenträte, wie sie das jetzt beteuert. Dass eine deutsche, französische oder US-Regierung ihrer Bevölkerung dies zumuten würde, ist nicht so sicher, was freilich das Ende der Nato bedeutete.

Der Westen hat die Wahl, sich selbst, seine Werte und Interessen wieder robust und glaubwürdig vertreten, auch wenn das in jeder Hinsicht hohe Kosten verursacht - oder der eigenen Marginalisierung achselzuckend zuzusehen.