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Jugendliche Schwärmerei für Selbstauflösung

Von Kerstin Kellermann

Gastkommentare
Kerstin Kellermann ist freie Journalistin in Wien, seit 2003 ständige Reporterin des "Augustin". Sie war koordinierende Redakteurin der Flüchtlingszeitschrift "Die Bunte (Zeitung)", Redakteurin für das Musikmagazin "skug" und hat gemeinsam mit Mia Zabelka und Alfred Pranzl das Shoah Memory Festival "Polska skug A radikal" organisiert und kuratiert.
© Lisbeth Kovacic

Gerade Jugendliche sind anfällig für Todessehnsucht. | Das betrifft Mädchen bosnischer Herkunft, die in den Krieg ziehen, ebenso wie rechtsextreme Kids.


140 Jugendliche aus Österreich seien in den Syrien-Krieg gezogen, verlautet die heimische Polizei, davon seien rund 30 bereits tot und 50 zurückgekehrt. Viele Kommentatoren führen das auf die Religion beziehungsweise "den Islam" zurück und wundern sich, dass die meisten der betroffenen Jugendlichen aus säkularen Familien kommen.

Dabei tragen diese Kinder die Kriegserlebnisse ihrer Eltern und Großeltern aus - wie viele andere österreichische Kinder in der einen oder anderen Form auch. Nur geht es meistens um den Zweiten Weltkrieg.

Rechtsextremismus zum Beispiel hat viel mit Jugend zu tun, wie der Rechtsextremismus-Experte Andreas Peham ausführt. Manche Jugendliche schwärmen für ehemalige Nazi-Täter, verherrlichen deren mörderische Taten, und diese Romantisierung steht in Verbindung mit der Todessehnsucht in diesem Alter, der Selbstauflösung - bedingt durch die starken Veränderungen. Der Körper des Kindes verschwindet, ein neuer, schlaksiger Mensch entsteht, den Hormonschübe hin und her reißen. Die Seele schwankt, das kindliche Selbst löst sich auf.

Dazu kommt, wie bei den beiden bosnischstämmigen Mädchen, die von Österreich weg in den Syrien-Krieg zogen: Sie tragen den Krieg in sich, diese Kinder, die kurz nach dem Bosnien-Krieg geboren wurden, sie internalisierten die (nicht verarbeiteten) Todeserlebnisse ihrer Eltern. Wie das eine Mädchen schrieb, bei dem nach wie vor unklar ist, ob es tatsächlich getötet wurde: "Wir tragen den Tod in uns und fürchten ihn nicht, wir suchen ihn."

Ob man für alte Widerstandskämpfer schwärmt oder für Täter, die Geschichte der jeweiligen Familie über die Generationen spielt dabei sicher eine große Rolle. Kinder tragen oft die ganze verdrängte Geschichte ihrer Eltern aus.

Österreich, das über die offizielle Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens und über die Tätigkeit des Heeresnachrichtendienstes in Kroatien (laut "profil") einiges an Mitverantwortung trägt, akzeptierte in Folge alleine die leistungsfähigen Kriegsopfer und -täter, die ungebrochen fleißig hackelten und den Krieg in sich unterdrückten. Die anderen, die sich nicht selbst erhalten konnten, landeten im Krankenhaus oder wurden abgeschoben.

Nun werden syrische Familien aus dem Zug heraus verhaftet, während die Versprechungen des Ex-Vizekanzlers für syrische Flüchtlinge noch immer nicht erfüllt sind. Was die Kinder dieser syrischen Flüchtlinge in sich tragen und wie sie die schrecklichen Ereignisse verarbeiten werden, wird die Zukunft zeigen.

Ein junger Deutscher mit Migrationshintergrund kam jetzt aus dem Kriegsgebiet zurück, weil ihn die Angst packte, welche Morde diese schwarz vermummten IS-Kämpfer noch begehen würden. Nun steht er in Frankfurt vor Gericht. Doch Polizei und Justiz können nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen. Wir dürfen diese Jugendlichen nicht kampflos aufgeben und verlieren.