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Selbstoptimierung

Von Haimo L. Handl

Gastkommentare
Haimo L. Handl ist Politik- und Kommunikationswissenschafter.

Der Trend zur Produktivitätssteigerung verstärkt sich mit der Technik und verfügbaren Technologie. Gleichzeitig nimmt die Selbstausbeutung zu.


Seit der Industrialisierung ist der Mensch zur Maschine geworden, zum Rädchen im Räderwerk, das laufen muss. Immer galt es, Leistung zu steigern, ja kein Sand im Getriebe zu werden. Fortschritt wurde zur Devise, Disziplin der Schlüssel zum Erfolg, Standardisierung die nötige Voraussetzung für die gigantische Ausrichtung, die in der Globalisierung ungeahnte Ausmaße annahm.

Der herrschende Leistungsbegriff bestimmt wesentlich das Werteverständnis. Gegenwärtig, 69 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der bis dahin schlimmsten, grausamsten humanen Vernichtungsaktion, die zugleich Motor für wissenschaftliche Innovation und technischen Fortschritt war, kommen wir wieder nahe an ein fatales Verständnis von "unwertem" Leben heran, über die Hintertür, über die geforderte hohe Produktivität, über die Selbstausbeutung als Bedingung für Erfolg und Weiterkommen (Fortschreiten im Fortschritt). Wer nichts leistet, nicht nach den geforderten Normen Leistung erbringt, hat nicht nur keinen Erfolg, sondern wird zum Ballast, zur Belastung, zum Störfaktor, zum "Feind". Die Anpassungsleistungen fordern ihren Tribut, den viele nicht erbringen können. Sie bleiben auf der Strecke, brennen aus im Verheizungsprogramm, werden als Burn-outs zum bedenklichen Kostenfaktor.

Die Gegenbewegungen sind stark, vor allem durch wieder erstarkte Religionen. Aber deren Remeduren stellen keine wirkliche Alternative dar, sind Rückfälle, die sich oft in einer Angst vor der Moderne äußern, ihrerseits nahe an Konzepte des Faschismus heranreichen oder ihn gar ersetzen und weiterführen, womit sich die eigentliche Lagerbildung zeigt: Kapitalismus mit seinem Optimierungsdenken hier, religiöse Angstkultur dort. Es fehlt das politische Korrektiv.

Die Technologie hilft unserem System und seiner Optimierungsausrichtung. Je stärker bestimmte Werte internalisiert angenommen und praktiziert werden, desto erfolgreicher und stärker ist das System. Das machte immer schon die Macht der Religionen aus, erklärt aber auch den Mythos des "American Way of Life" und zeichnet die Bildungsprogramme moderner Gesellschaften aus. Ziel ist nicht mehr die Persönlichkeitsbildung reifer, mündiger Menschen, sondern die Heranbildung von Funktionären, die ihre Rolle maximal erfüllen.

Die Social Media wirken als Verstärker und "Selbsterzieher" im weltumspannenden Programm der Deprivatisierung und Gleichausrichtung, das oft freiwilliger Gleichschaltung entspricht. Selbstoptimierung erfolgt über penible Selbstbeobachtung. Moderne Messgeräte leisten persönliche Überwachung, die weit darüber hinaus geht, was Tyrannen, Despoten und Diktatoren je erträumten. Und viele machen freiwillig mit, praktizieren sozialisierte Werte, üben persönliche Beobachtung, Überwachung, Aufzeichnung tagtäglich und nächtlich, lassen ihre Bewegungen aufzeichnen, ihren Blutdruck, ihren Stoffwechsel, ihr Schlafverhalten, neben den ordinären Handlungsdaten des Kommunikationsverhaltens etc.

Alles, um in umfassendem Selfmanagement mit klugem Zeitmanagement das Leistungspotenzial zu steigern, mehr aus sich herauszuholen, erfolgreich zu sein und zu bleiben. Um Gewinner zu sein, um kein Loser zu werden. Cui bono?