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Camp Bucca - die Wiege des Islamischen Staats

Von Isolde Charim

Gastkommentare

Wie bekämpft man Terroristen, ohne mehr von ihnen zu schaffen?


Es gibt verschiedene Arten, die Frontlinie Westen -Islamischer Staat, die Frontlinie Zivilisation - Barbarei, Demokratie - Dschihadismus in Frage zu stellen. Da gibt es zum einen den dialektischen Zugang, der meint, die Barbarei sei nicht einfach das Andere der Zivilisation, sondern vielmehr ein Produkt der Aufklärung - ganz im Sinne von Horkheimer und Adorno.

Es gibt auch einen verschwörungstheoretischen Zugang, der den USA unterstellt, die islamistischen Kräfte unterstützt oder direkt finanziert zu haben - in einer Art unfähiger und pervertierter Geostrategie. Diese Argumentationen wurden nun um eine weitere ergänzt - um eine wesentlich konkretere und plausiblere Verstrickung der USA in die Entstehung des "Islamischen Staats".

Wie jetzt bekannt wurde, könnte das Gefangenenlager für Terrorverdächtige, das die US-Armee von 2003 bis 2009 im Irak unterhielt, so etwas wie die Wiege des IS gewesen sein. Camp Bucca hieß das Lager, in dem nicht weniger als neun Führungsmitglieder von dem, was später der IS werden sollte, gleichzeitig einsaßen - darunter auch deren selbsternannter "Kalif" Al-Baghdadi.

Das Camp war - wie sich jetzt zeigt - der ideale Nährboden für den organisierten Terror. Die einsitzenden Radikalen nützten die anarchischen Zustände einer überforderten Besatzungsarmee, die nicht nur willkürliche Verhaftungen vornahm, sondern die Insassen auch nicht separierte. In den Gefängniszellen saßen radikale Islamisten, moderate, Kleinkriminelle und Unschuldige gemeinsam ein. Die US-Armee lieferte damit den Radikalen Nachwuchs "frei Haus" - wenn diese Formulierung in dem Kontext möglich ist. Die Islamisten verwandelten das Lager in eine Bildungsstätte der anderen Art: ein Rekrutierungs- und Ausbildungscamp für Terroristen. Aber sie rekrutierten, trainierten, indoktrinierten ihre Mithäftlinge nicht nur. Weil die Amerikaner das Lager wie einen rechtsfreien Raum führten, konnten die Islamisten dort sogar eine hierarchische Ordnung eigener Art etablieren - bis hin zu Scharia-Gerichten gegen westliche, unislamische Verhaltensweisen der Häftlinge. Die Häftlinge hatten eine eigene Gerichtsbarkeit zur Ablehnung der Besatzer!

Es ist keine Neuigkeit, aber man muss jetzt wieder nachdrücklich daran erinnern: Gefängnisse sind nicht einfach Aufbewahrungsorte, sondern Transformationsmaschinen. Egal, als wer man hineingeht, man kommt als ein anderer heraus. Dieses Wissen lag ja dem zugrunde, was man einst "humanen Strafvollzug" nannte. Dessen Humanität bedeutete nicht Nachgiebigkeit oder Verhätschelung der Delinquenten (wie Kritiker unterstellten), sondern Weichenstellung der Transformationsmaschine Gefängnis in Richtung Resozialisierung. In Camp Bucca wurden die Weichen von den einsitzenden Islamisten gestellt. Ihre Richtung hieß: Radikalisierung.

Wie bekämpft man Terroristen, ohne mehr von ihnen zu schaffen? Gerade für diese akute Frage ist die Erinnerung an den humanen Strafvollzug zentral. 2007 dämmerte dies auch den US-Autoritäten. Sie versuchten, die Weichen umzustellen - mit Unterricht in Lesen, Schreiben und moderatem Islam. Aber das war zu spät. Die Transformationsmaschine Bucca hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Kurs in Richtung Radikalisierung längst gefestigt. Der Zug war abgefahren.